Bier wird in Bayern seit jeher als Lebensmittel betrachtet. Der Gerstensaft steht auch als Zutat bei Bayerns Köchinnen und Köchen hoch im Kurs. Wir probierten die Tipps von Master-Biersommelière Mareike Hasenbeck auf einer Reise zwischen Franken und den Alpen aus
Bayerische Küche mit Bier
Vormittags in Bamberg. Stühle werden gerückt, Servietten gefaltet, Schürzen glattgestrichen und ein dunkles Eichenfass auf den Schanktisch gehoben. In der Küche legt Chefköchin Teresa Frahnert Steaks in Bockbier ein und füllt anschließend ein Glas Rauchbier in den Soßentopf.
Hinter der malerischen Fachwerkfassade der Brauereigaststätte „Schlenkerla“ in der Dominikanerstraße laufen die Vorbereitungen für den Tag. Sobald um 9.30 Uhr die Türen geöffnet werden, erscheinen erste Besucher zum Frühschoppen. In einer Flurnische zwischen den beiden Gasträumen, in denen seit 1405 kräftiger Gerstensaft ausgeschenkt wird, verschanzen sich zwei ältere Herren hinter ihren Zeitungen, vor ihnen je ein Seidla (halber Liter) Rauchbier, während nebenan im gotischen Gewölbe der Dominikanerklause Bratwürste, Bamberger Zwiebeln, Märzen und Rauchweizen bestellt werden.
Neben dem Bamberger Spezialbräu ist das „Schlenkerla“ die einzige Brauerei weltweit, die noch Rauchbier traditionell herstellt. Dabei wird das Rauchmalz über offenem Buchenholzfeuer gedarrt, eine Methode, die mindestens seit der Bronzezeit bekannt ist.
„Schlenkerla“: Moderne Rezeptinterpretation
Manches Rezept, das Käthchen Graser, die Schwester eines „Schlenkerla“-Wirts, in ihrem vor 150 Jahren handschriftlich verfassten Kochbuch hinterlassen habe, sei abenteuerlich, findet Teresa Frahnert. Aber für sie sei es eine faszinierende kulinarische Zeitreise. Auf Basis des Geschriebenen interpretiere sie Gerichte neu.
Dann höhlt sie mit einem Löffel eine große Metzgerzwiebel aus und füllt sie mit einer Mischung aus Schweinefleisch, Gewürzen, Eiern und Semmel. Nachdem die Zwiebel im Ofen gegart und später mit scharf angebratenen Räucherbauchscheiben belegt wurde, übergießt Teresa das Gericht mit einer Soße aus Rauchbier und Bratflüssigkeit.
Rauchmalz als würzige Zutat
Die „Bamberger Zwiebel“ ist ein Klassiker, die Soße sorgt für einen leicht bitter-rauchigen Geschmack, die Füllung hat etwas von feinem Leberknödel und die große Zwiebel rundet mit ein wenig Säure ab. Teresa schlägt dazu ein herb-würziges Märzen vor und wendet ein paar brutzelnde Bratwürste in der Pfanne. „Das Rezept ist geheim, aber Rauchmalz ist drin und wir servieren die Würstl mit Sauerkraut und unserem ebenfalls mit Rauchmalz verfeinerten Brot.“
Wer ins „Schlenkerla“ kommt, wird kulinarisch mit Bier rundumversorgt, es gibt Rauchmalzfladen, Rauchbierhaxn, Bierpralinen und ein Bieramisu. „Für die Nachspeisen verwende ich meist die eher süße Vorderwürze“, erklärt Küchenchefin Teresa, „da fehlt das Bittere, das passt besser zu Desserts.“
Und wer sich als Abrundung einen Rauchbierbrand gönnt und dabei versonnen an die Decke der Dominikanerklause blickt, wird von einem Affen mit Bierkrug angelacht … und das liegt bestimmt nicht am umfassenden Rauchbier-Input, sondern am farbenprächtigen Fresko aus dem 15. Jahrhundert.
Das Bierhotel im Bayerischen Wald
„Wir sind Bier, wir leben Bier“, stellt Bernhard Sitter, der erster Biersommelier-Wirt Deutschlands, fest. Aber das eine Lieblingsbier, das gebe es für ihn nicht. Es komme auf die persönliche Stimmung an. „Am Lagerfeuer muss es ein Helles sein, aber ich trinke auch Pils, wenn es passt.“
Bernhard Sitter, seine Frau und seine Kinder haben aus dem Gut Riedelsbach, das von einem unehelichen Sohn König Ludwigs III. gebaut wurde, das erste Bierhotel Deutschlands gemacht. Den Familienbetrieb kurz vor der tschechischen Grenze erreicht man auf schmalen, gewundenen Landstraßen über die Höhen des Bayerischen Waldes, etwa 50 Kilometer nordöstlich von Passau.
Was mit sechs Tischen in einer kleinen Wirtsstube, die der Kern des Hotels ist, begann, wurde in den vergangenen 40 Jahren zu einem florierenden Tourismusbetrieb inklusive Hausbrauerei.
„Essen ist Genuss, Bier ist Genuss, und die Verbindung fasziniert“
Bockbiersenf und Bieramisu
Bernhard Sitter jun. ist der Küchenchef und hat Spaß am Kochen mit Bier. „Essen ist Genuss, Bier ist Genuss, und die Verbindung fasziniert“, sagt er, während er Rindfleischscheiben mit hausgemachtem Bockbiersenf dick bestreicht, sie in Semmelbröseln, Kräutern und Kürbiskernen wendet und dann in der Pfanne anbrät. Die Rinder züchtet Onkel Wilhelm nebenan, erzählt Bernhard und pochiert ein Ei, das später mit Bier geimpft werden soll.
Weil zu einem Menü auch Nachspeisen gehören, stehen auf der Speisekarte unter anderem ein Bieramisu mit in alkoholfreiem Bier eingelegten Biscotti und gebackene Bierpralinen aus Bierlikör und Bierbrand.
In der Zwischenzeit ist das Rindfleisch fertig gebraten, das Ei pochiert, in Semmelbrösel paniert und gebacken. Zeit, sich an den Kachelofen im Wirtshaus oder in die mit hellem Holz getäfelte Malzstube zu setzen.
Bierinfusion fürs Ei und Bierpralinen
Am Tisch infusioniert Bernhard „für den Kick“ das warme Ei mit etwas Schwarzbier. Das gibt dem Gericht einen frisch-bitteren Geschmack, der an Kaffee erinnert und der sich auch in dem mit Honigbieressig angemachten Salat wiederfindet.
Die Rindfleischpanade ist knusprig, das Fleisch zart. Durch den Biersenf erhält es eine angenehm süße Note. „Einem Gericht etwas Überraschendes mitzugeben, etwas zu kombinieren, was man so noch nicht kennt, das macht den Spaß aus, mit Bier zu kochen“, erklärt Bernhard, und dann geht es für das Dessert an den Tresen der Brauerei, deren Sudkessel im Hotel integriert sind.
Das Bockbier dampft, als Bernhard den heißen Stab in die Flüssigkeit hält. Mit dem ersten Bissen der Nachspeise zerläuft die gefrorene und dann frittierte Bierpraline im Mund und verbindet den Schmelz der Schokolade mit dem karamelligen Geschmack des warm gestachelten Gerstensaftes. Da ist nichts bitter, vielmehr alles samtig-weich und süß.
„Bei uns kann jeder sein, wie er will, und essen und trinken, worauf er Lust hat, und in das Universum Bier eintauchen“, sagt Bernhard zum Abschied.
Riegelebräu: Reinheitsgebot für Wirtshausküche
„Ich weiß genau, wo meine Produkte herkommen, weil ich die Zulieferer regelmäßig besuche. Ich habe meine eigenen Kreisläufe geschaffen“, sagt Wirtshaus-Chef Josef Unertl und kontrolliert die Gerichte im Ofen. Das Riegele Wirtshaus liegt zwischen Augsburger Bahnhof und Innenstadt auf dem Gelände der hier seit 1911 arbeitenden Privatbrauerei Riegele. Als „Brauerei zum Goldenen Ross“ beginnt die Tradition bereits im Jahr 1386, seit 1884 führt die Familie Riegele nun die Geschäfte.
„Bei uns gibt’s Wirthausküche, ohne Chichi, ehrlich, bio, geradeaus, und natürlich spielt Bier dabei auch eine Rolle. Wir haben ja das beste Produkt nebenan“, erklärt Josef, während er eine Ente mit Äpfeln, Zwiebeln, Majoran und Salz füllt und im Hintergrund Knödel für das Mittagsgeschäft gerollt werden.
„In Bayern gehört eine Bratensoße regelmäßig im Ofen mit Bier aufgefüllt“
Wammerl in Dunkel-, Ente in Weißbiersoße
Das Reinheitsgebot vom Bier habe er auf die Küche übertragen. Auf der Speisekarte wird auf die Herkunft der Produkte verwiesen, sein eigener Metzger bereitet Fleisch für die Küche zu, sie verwerten jedes Stück, Tomaten für die Wintermonate werden nach der Ernte eingelegt und eingeglast, genauso verfahren sie mit Obst und Gemüse. „Saisonalität bedeutet beim Kochen eben auch, die Tradition des Haltbarmachens zu nutzen“, sagt Josef.
Dann holt er ein knuspriges Wammerl aus der Hitze, das einige Stunden zwischen Kartoffeln, ungeschälten Zwiebeln und Karotten in dunkler Soße geschmort hat. In Bayern gehöre eine Bratensoße regelmäßig im Ofen mit Bier aufgefüllt, am besten mit Dunkelbier, erläutert Josef, durch die Karamellisierung mache das den Sud- und Fleischgeschmack milder.
Sie würden regelmäßig mit dem Bier aus dem Brauhaus nebenan experimentieren. Die Ente komme in einer Weißbiersoße, das mache den Geschmack fruchtiger. Die Apfelküchle würden mit Bierteig paniert, statt Sonnenblumenkernen verwendeten sie karamellisiertes Braumalz beim Salat.
Das Wirtshaus: Treffpunkt für alle
In der Gaststube serviert Josef Ente und Bierbratl, dazu ein fruchtiges Kellerbier und ein alkoholfreies, leicht nach Mandarine duftendes IPA Liberis. Der Duft von Bratenwürze und Rotkraut steigt in die Nase, das Anstoßen von Biergläsern, Gesprächsfetzen, manchmal leises Lachen der Mittagsgäste schwebt in der Luft. Zwischen den langen Holztischen hindurch geht der Blick aus den Fenstern auf das gelb getünchte Brauereigebäude. „Schönes Leben hier“, steht auf einer Wand geschrieben, daneben warten Tageszeitungen an Haken auf Lesewillige.
„Im Wirtshaus trifft sich die Welt“, sagt Josef Unertl, „es hat einen gesellschaftlichen Auftrag und wir unterstützen das mit guten Speisen und hervorragendem Bier.“
Hoppe Bräu: Moderne Braukunst im Voralpenland
„Da hat er recht“, sagt Master-Biersommelière Mareike Hasenbeck und nimmt einen Schluck „Wuide Hehna“, ein leichtes Session IPA, fruchtig mit etwas Zitrusfrische, „um den Fisch nicht zu erschlagen, sondern ihn zu unterstützen“. Schließlich hat Susi Hoppe neben anderen Gerichten auch Fish and Chips aus der Küche gebracht und sich zu Sohn Markus und Mareike in eine Ecke der „Zapferei“ am Ortsausgang von Waakirchen in der Nähe des Tegernsees gesetzt.
An den weiß gestrichenen Wänden hängen Bilder der Familie und vom Bau der im Jahr 2018 fertiggestellten Brauerei, die Markus als Braumeister führt und deren Biertanks durch ein Fenster vom Gastraum aus zu sehen sind. Hinter der Theke wartet eine Reihe Zapfhähne auf den nächsten Ausschank, vor den Fenstern steigt Bodennebel aus den Wiesen und über die Berge legt sich Abendrot.
Fish and Chips mit einheimischer Forelle
„Alles, was wir servieren, kochen wir so, wie es uns selbst am besten schmeckt, und Bier gehört als Zutat natürlich mit dazu“, erklärt Susi und dippt ein Stück knusprig frittierter Forelle in den hausgemachten Malzessig. Der Teig der Panade bestehe neben Mehl, Gewürzen und Petersilie auch aus einem großen Glas vom hauseigenen Hellen, das gebe würzige Frische und komme auch bei den „Bierkartoffeln“ als Teil der Panade zum Einsatz.
„Wahnsinn, diese Kartoffel als Booster nach einer durchzechten Nacht und dazu ein Weißbier, das passt perfekt“, sagt Markus. Und zur „Vogelwuiden Currywurst“ harmoniere natürlich das auch für die Soße genutzte scharf-fruchtige IPA. „Oder als Gegensatz die Kickvariante mit einem Dunklen“, schlägt Mareike vor „das kontert die leichte Herbe und Fruchtigkeit der Soße mit seiner malzig-karamelligen Nussigkeit und verbindet sich zu einem Geschmacksfeuerwerk!“
Bierspezialitäten mit Kirsch und Whisky
Bis es dunkel wird, reden sie über Food-Pairings, probieren ein in Whiskyfässern gelagertes Imperial Stout, das auf Kirschen gereifte „Keasch“ und hopfengestopftes Lager. Die „Zapferei“ hat sich mit Gästen gefüllt, in einer Ecke klackern Backgammonsteine, Markus´ Kinder kommen von draußen und verlangen nach frischem Wasser. „Geschmack ist Geschmackssache“, sagt Mareike, „es geht ums gemeinsame Probieren und Entdecken, denn Bier ist so viel mehr als nur ein Getränk, es ist eine eigene Welt.“