Der Naturpark Haßberge gilt als Gravelbike-Dorado. Der unterfränkische Gebirgszug ist wie geschaffen für die geländegängigen Rennräder: Auf geschotterten, asphaltierten oder wurzeligen Pfaden geht es hügelauf und hügelab zu Burgen, Fachwerk, Craft-Bier und Frankenwein. Text: Christian Haas, Fotos: Frank Heuer
Gravelbiken im Naturpark Haßberge
„Graveln ist ein Lifestyle“, sagte Jürgen bereits im Vorfeld der Tour. Der Mix aus Sport, Technikbegeisterung, wertigem Equipment und Genuss beim und nach dem Radfahren spreche insbesondere Leute an, „die im Beruf gefordert sind und gerne in der Natur abschalten“. Das wollen offenbar ziemlich viele. Neben E-Mountainbikes gelten Gravelbikes aktuell als größter Trend der ohnehin boomenden Fahrradbranche.
„Man sieht es nicht zuletzt an den langen Wartezeiten bei Neubestellungen“, so Jürgen, der mit Nachnamen Bergmann heißt. „Das Thema geht durch die Decke.“ Was auch daran liegt, dass die Velos mit ihren schmalen Profilreifen und der speziellen Geometrie das Beste aus zwei Welten verbinden: die Geländegängigkeit von Mountainbikes und den Highspeed von Rennrädern.
Die Offroad-Racer fühlen sich auf allen Untergründen wohl, auf Asphalt, Wirtschaftswegen und feinem Schotter, dessen englische Übersetzung – „gravel“ – als Namenspate fungiert. Dank Scheibenbremsen, Hightech-Schaltung und Befestigungsmöglichkeiten für Lenkertasche, Navi & Co. sind Gravelbikes die Zehnkämpfer unter den Rädern. Jürgen drückt es so aus: „Sie können nichts perfekt, aber alles sehr gut.“
Schlamm-Schlachten und Wirtshausbesuche
Das wollen wir testen. Über mehrere Tage. Denn ja, auch das geht. Fürs Bikepacking – neudeutsch für „Radeln mit leichtem Gepäck“ – werden Taschen und Flaschen einfach an Rahmen, Lenker und Sattelstütze montiert. Letztere Variante nennt sich dann „Arschrakete“ und verhindert – schließlich verzichten Graveler nicht nur auf Ständer, Lichter, Gepäckträger, sondern auch auf Schutzbleche –, dass beim Graveln hochspritzender Dreck auf Shirt und Helm landet.
„Perfektes Gravelterrain dank grobem Schotter, herrlicher Ausblicke und null Verkehr“
Wobei Schlammschlachten wie beim Downhill ebenso wenig zum Standard gehören wie das Kilometerfressen beim Rennradfahren. Der Genuss hat einen deutlich höheren Stellenwert. Ziel ist es, nicht nur manchen Berg raufzukommen, sondern beim Wirtshausbesuch auch runterzukommen.
Klar, diese Kombi lässt sich vielerorts erfahren. Aber es gibt bislang nur wenige Regionen, die ganz aktiv Gravelbiker ansprechen. Die im Städtedreieck Würzburg-Coburg-Bamberg gelegenen Haßberge – deren Name im Übrigen nicht von „hassen“ kommt, eher von hasan für „grau, grau glänzend“, womöglich auch vom Wort Hasen – füllen die Lücke mit Bravour. Was auch an Jürgen und seinen Gravelfreunden liegt.
Die deutschen Gravelpioniere
Der Architekt aus Hofheim gehörte vor rund zwölf Jahren zu den deutschen Gravelpionieren. „Im Winter sind ein paar Freunde und ich immer vom Rennrad aufs Cyclocross-Rad umgestiegen. Statt auf der Straße waren wir dann im Wald unterwegs.“
Praktisch: Die Kumpel-Combo, alsbald als „Haßberg Gravels“ unterwegs, war dank Connections zur in der Nähe ansässigen US-Firma Sram, Premiumanbieter für Fahrradkomponenten, immer mit Topmaterial versorgt.
Es folgten Events wie der „K100 Hassberggravel“ und ähnliche, das Anlegen von Routen, die Gleichgesinnten etwa über die eigene Facebook-Seite oder via Mailanfrage empfohlen wurden, und schließlich offizielle Routenvorschläge des Naturparks Haßberge.
Mittlerweile bietet die selbst ernannte „erste Gravelregion Deutschlands“ mehr als zehn Routen an. Die sind dann etwa auf Komoot für jedermann zu finden.
Eine individuelle Tour hat aber auch ihren Charme. Gedacht, gemacht. Konkret starten wir, zusammen mit der uns immer wieder begleitenden Susanne Volkheimer, Geschäftsführerin von Haßberge Tourismus, in Haßfurt. Doch für den Marktplatz und die über 17 Meter hohe Ritterkapelle haben wir im Moment keine Augen. Nur für die Leihräder samt Equipment, das auch Trikots, Helme, Pedalschuhe umfasst. Da will man gleich los!
Zeil am Main: Erste Station der Gravelbike-Tour
Die ebene Strecke nach Zeil am Main eignet sich ideal zum Eingrooven in Sachen Gravelbiken. Die Lenkerhörnchen! Oberes Greifen erspart permanentes Buckeln. Der Sattel! Hart und weich gleichermaßen, sehr angenehm. Die Schaltung! Kurz getippt, einen Gang runter, länger gedrückt einen rauf – easy! Gibt ohnehin nur ein vorderes Kettenblatt. Schnell gewöhnt man sich auch an die Klickpedale.
Aus denen schlüpfen wir erst wieder, als wir in das Fachwerkstädtchen Zeil am Main einfahren und über die Koexistenz von Bier und Wein staunen. Hier die Brauerei „Göller“, eine der ältesten Bayerns, mit Biergarten und Craft-Bier-Spezialitäten, dort das bekannte „Weinhaus Nüßlein“. Das bezieht seine Trauben aus dem hiesigen Abt-Degen-Tal, Marketingname „Frankens junger Stern am Weinhimmel“.
Gleich am Ortsrand ziehen sich die Weinreben hügelaufwärts. Durch jene geht es – uff, warum gibt es kein E-Gravelbike? – steil hinauf zur Wallfahrtskirche Zeiler Käppele. Davor, besser: darunter, breitet sich das weite, sonnenverwöhnte Land aus.
Ein 80-Jähriger, mit dem wir ins Gespräch kommen, zeigt auf die vielen Baggerseen. Den Steigerwald. Den Naturpark Haßberge. Nostalgisch wird Josef, als er auf das stillgelegte XL-Südzuckerwerk deutet, das er jahrzehntelang mit Zuckerrüben belieferte. „Vieles hat sich hier verändert“, so seine zusammenfassende Erkenntnis.
Gravelbiken auf dem Rennweg
Wir schwingen uns wieder auf unsere Gravelbikes, setzen die getönte Gravelbrille auf, lassen die Bike-Schuhe in die Pedale klicken und rollen davon. Wobei wir nicht die 71 Kilometer lange „Abt-Degen-Weintal-Runde“, eine von zehn ausgewiesenen Gravelrouten, einschlagen, sondern „freestyle“ Richtung Rennweg radeln.
Die uralte Verbindung führte von Bamberg ins 63 Kilometer entfernte Sulzfeld und mied als Weg für Kuriere Siedlungen. Noch heutzutage führt er auf der Höhe des Gebirgszuges entlang und ist – das stellen wir auch am Folgetag fest – perfektes Gravelterrain. Dank schön grobem Schotter, herrlicher Ausblicke und null Verkehr, von sehr seltenen Traktoren abgesehen.
Das Beste: Einmal oben angekommen, läuft es, dem „R“ auf schwarzem Grund folgend, sanft hügelauf, hügelab. So auch zum „Gutshof Andres“, wo es Bernd Andres mit seiner Kochkunst zur Michelin-Erwähnung geschafft hat, Spezialität: Fisch. Die Erfolgsformel lautet: Forelle + Silvaner = Topkombi. Vor allem wenn man in den recht neuen Zimmern gegenüber nächtigen kann.
Graveln mit „Arschrakete“
Haben wir am Vortag zu viel Sonne abgekriegt? Das sieht doch aus wie ein hölzernes Ufo! Nennt sich auch so: UFO47. Und steht für „Ungewöhnliches Ferienhaus Objekt“. Lässig! Das gilt auch für das, was uns Susanne noch so vom Gastgeber in Köslau erzählt. Von der ökologischen Bauweise der modernen Wohnung, dem Braubetrieb sowie der Option, sich Gravelbikes auszuleihen.
Das ist nämlich eine Rarität! Wir regen bei Susanne, selbst begeisterte Gravelbikerin, an, generell solche Angebote in der Region auszubauen. Um Einsteiger anzufixen. Derzeit müssen Gäste ihr eigenes Rad mitbringen, was zur Folge hat, dass die meisten eine Basis wählen und eben Tagestouren unternehmen.
Wir jedoch peilen eine neue Unterkunft an. Dazu düsen wir auf dem Rennweg dahin, bis wir auf eine der wenigen Querstraßen treffen und auf dieser mit über 60 Stundenkilometer Geschwindigkeit nach Königsberg runterzischen.
Königsberg: Das versteckte Rothenburg
Achtung, nicht den Abzweig zur Burgruine verpassen! Nicht nur wegen des Durstlöschers – selbstverständlich: Es gibt Radler! –, sondern auch wegen der herrlichen Aussicht auf Königsberg, das „versteckte Rothenburg“. In der unter Denkmalschutz stehenden Altstadt hat jedes Fachwerkhaus seine Geschichte.
Die vom Geburtshaus des Gelehrten Regiomontanus – er führte im 15. Jahrhundert die arabischen Zahlzeichen ein und vervollkommnete das Dezimalsystem – ist besonders interessant. Susannes Erzählungen ersetzen den Besuch in der Ausstellung, die nur am Sonntag öffnet.
Fränkische Toskana mit echte Zypressen
Auch andere Städte haben schöne Geschichten. Das bereits im 8. Jahrhundert urkundlich erwähnte und mit dem Europäischen Dorferneuerungspreis 2020 geadelte Hofheim etwa, wo wir Jürgen live kennenlernen. Stolz zeigt er uns einige Highlights, vom Marktplatz bis zum „Fränkischen Hof“. So richtig in (Gravel-)Fahrt kommt er aber außerhalb der Stadttore.
Entspannt radeln wir über Straßen und Wirtschaftswege durch den Nachmittag. Passieren die bei Wasserratten beliebte Längenbachtalsperre, Streuobstwiesen und Zypressen, die bestens in die „Fränkische Toskana“ passen.
Schäferwagen-Stündchen
Bei manchen Anstiegen steigt unser Puls. Gut für die Motivation: Höher als 512 Meter kann es nicht hinaufgehen. Ewige Anstiege und Spitzkehren-Marathons wie in den Alpen? Fehlanzeige! Stattdessen geht es immer mal wieder durch schöne offene Landschaften, auch mal über rauere Trails.
Zugegeben, im Auf und Ab über zu viele Wurzeln leidet der Fahrkomfort. Aber Jürgen beruhigt: „Das Gravelbike steckt das leicht weg. Die Felgen sind stabil, die profilierten Reifen geben dank mehr Breite als am Rennrad erstaunlich viel Grip.“
Romantikgefühle kommen am kleinen Wasserschloss Kleinbardorf auf. Kein Wunder, dass die von Wasser umrankte Location samt Skulpturengarten gern für Hochzeiten genutzt wird.
Rustikaler geht es da im „1. fränkischbayerischen Schäferwagenhotel“ zu, unserem Etappenziel. Wobei das Wort „Hotel“ etwas in die Irre führt. Gut, es gibt einen Pool und Frühstück in der „Jägerstube“.
Aber das einstige Obstbaumareal mit neun Schäferwagen und drei deutlich komfortableren Baumhäusern, allesamt aus der Schreinerhand des Besitzers Matthias Fahl, verströmt pures Campingflair. Dafür sorgen Lagerfeuerplätze und ein Selbstbedienungskühlschrank, der sogar Wildschweinspezialitäten birgt.
Über Stock und Stein ins Mittelalter
Am Tag darauf fahren wir die Gravelbikes noch mal richtig aus. Weicht der Asphalt losem Schotter? Super! Einfach weiter! Wird aus dem Kiesweg ein Wurzelteppich? Großartig, noch mehr Abenteuer! Und immer wieder wird klar, warum die Region „Land der Burgen, Schlösser und Ruinen“ heißt.
Zu Gesicht bekommen wir etwa Schloss Birkenfeld, das mit dem „Charme historischer Unvollkommenheit“ auch als Urlaubsdomizil dient, oder die Burgruine Altenstein, die als Herzstück des „Deutschen Burgenwinkels“ auf einer Kuppe über dem lieblichen Weisachtal thront. Auf der Ganerbenburg saßen mehrere Familien gleichzeitig – eine Besonderheit.
Das und mehr vermitteln vierzehn Erlebnisstationen des Burgeninformationszentrums. Die App „Burgdämonen“ spricht Digitalaffine an und informiert auch über benachbarte Locations wie die Ruine Lichtenstein, ein Glanzlicht der deutschen Fachwerkromantik, oder Schloss Eyrichshof, in dem auch XL-Events stattfinden. So trat dort vor unserer Tour im Juli die Gruppe The BossHoss auf.
Bei unserem Besuch ist nicht viel los, dafür aber im „Eiscafé Alpi“ in Ebern – kein Wunder bei über 35 Grad. Wir passen die Pause an die Hitze an und ordern Affogato, Espresso mit einer Kugel Vanilleeis. Dazu Jürgen: „Guter Kaffee gehört zum Graveln wie das Fahrradöl.“
8 Touren-Tipps für Gravelbiker
Unsere Gravelbike-Touren führen durch Bach- und Flusstäler, passieren Seen und Sehenswürdigkeiten. Für Sportliche geht es zünftig bergauf und bergab