Die Rhön liegt im äußersten Norden Bayerns. Das Biosphärenreservat ist geprägt von Hochmooren, Vulkankegeln und Urwäldern. In den Tälern gibt eine Generation junger Gastronomen genussvoll den Takt an. Ein Roadbook für Besseresser und Naturfreunde von Thomas Linkel (Text und Fotos)
Tipps für eine Genussreise durch die Rhön
Aus der Ferne sieht es wie ein schwarz-weißes Mosaik aus, das sich langsam über die gelb-grünen Bergwiesen der Langen Rhön bewegt. Ein paar Weggabelungen und Feldgehölze weiter trägt der Wind tierische Laute durch die milde Frühabendluft. Schließlich zieht eine Herde Rhönschafe zupfend, rupfend und wiederkäuend an uns vorbei.
„Kalte Buche“ nennen die Bewohner von Ginolfs die Kuppe oberhalb ihres Dorfs. Von dort hat man einen beeindruckenden Rundumblick auf die Höhen des Biosphärenreservats ganz im Norden Bayerns. Und genau dorthin hat Schäfer Josef Kolb seine Herde heute gebracht.
Revival des Rhönschafs
„Das Rhönschaf gehört in diese Landschaft wie die Basaltkegel und Hochmoore“, sagt er und zupft an der breiten Krempe seines Filzhutes. Zehntausende Schafe seien bis vor 100 Jahren über die Weiten der Rhön gezogen, dann machten moderne Agrartechniken und Viehseuchen die Schafhaltung unrentabel. Anfang der 1980er lebten gerade noch 300 echte Rhönschafe mit dem charakteristisch wollfreien, schwarzen Kopf in Deutschland.
Ohne Schaf aber gibt keine Bergwiesen und keine Biotope. Die seit dem 14. Jahrhundert von kleinen Rodungen und extensiver Weidewirtschaft geprägte Kulturlandschaft drohte zu verbuschen. Im Auftrag des Bunds für Umwelt- und Naturschutz Deutschland und des BUND Naturschutz Bayern wurden im Jahr 1985 einige Flächen sowie vierzig Rhönschafe gekauft und Josef Kolb als Schäfer und Züchter bestellt.
Tierische Sympathieträger
Über die Jahre wuchs die Herde. Die wolligen Huftiere wurden zu Sympathieträgern, Naturschützern und Landschaftspflegern, die auch dazu beitrugen, dass die UNESCO der Rhön das Prädikat Biosphärenreservat verlieh. Heute sorgen etwa viertausend Tiere verschiedener Höfe als „Rasen-Mäher" für Biodiversität auf den weiten Hängen.
„Die Schafe strahlen eine Ruhe aus, die sich auf mich überträgt“
Kolb ist noch immer Schäfer mit Leidenschaft. Sein Leben werde vom Rhythmus der Schafe geprägt und er habe gelernt, sich auf den Takt der Tiere einzulassen. Dann geht er bergab. Das schwarz-weiße Mosaik folgt ihm langsam in den Abend.
Biogarten hinterm Schwimmteich
Am nächsten Morgen steht Küchenchef Hartwig mit Gärtnerin Barbara im Garten hinter dem Schwimmteich und schneidet Salatköpfe. Kein Laut dringt aus dem Ort Mellrichstadt hierher, hinter dem Garten des Hotels „Sturm“ liegen Wiesen und Felder, zu Schäfer Kolb sind es nur 20 Kilometer.
„Natürlich verarbeiten wir auch Rhönschaf, dazu passen frische Kräuter aus unserem eigenen Anbau“, erzählt Hartwig. Während er Thymian, Rosmarin und Basilikum abzupft, hat Barbara ihren Korb mit Blumenblüten und Johannisbeeren gefüllt.
Alles zusammen wird später als sommerlich farbenprächtiger Caesar Salad mit hausgemachten Gnocchi auf Saubohnen auf den Tisch des Restaurant „Otto's“ kommen, inklusive Blick auf den Garten, in dem gerade erst die Zutaten gesammelt wurden.
Aus einem konventionellen Hotel wurde mit vielen Investitionen und viel Leidenschaft innerhalb weniger Jahre ein nachhaltig wirtschaftendes, zertifiziertes Biohotel, das mit Zulieferern aus der Region verbunden ist.
Der Halunke aus Wartmannsroth
Zu den in der Rhön verwurzelten Produzenten gehört auch Brennerin und Edelbrandsommelière Franziska Bischof. Die Bayern-Botschafterin übt im Dorf Wartmannsroth in vierter Generation das hochprozentige Handwerk aus. Ihre feinen Edelbrände tragen Namen wie Musterknabe, Rebell oder Halunke.
„Ich fühlte mich schon als Kind im warmen Brennraum geborgen“
Sie erzählt im von Panoramafenstern umfassten Tasting Room, „auch wenn ich das Streuobst-Auflesen als Jugendliche oft verflucht habe.“
Heute liebe sie genau das, mit ihren Kindern durch die Umgebung zu streifen, Brotzeit zu machen und Brennbares zu sammeln. Und weil sie immer neue Geschmacksrichtungen entdecken wolle, erweitere sie ihr Sortiment von Jahr zu Jahr.
Ihre prämierten Edelbrände, Whiskeys und Gins sollten aber nur mit solider Grundlage verkostet werden. Oder man nutzt anschließend einfach die Hollywoodschaukel im Brennerei-Garten zum Entschlummern.
Mittelalter satt in Ostheim
25 Nebenstraßenkilometer entfernt liegt das UNESCO-Weltkulturerbe Bad Kissingen. Eine Stadt mit prächtigen Fassaden, Wandelhallen, weitläufigem Kurgarten und Hotels. Wer allzu viel Trubel und Heilwasser nicht mag, aber trotzdem Kultur-Input sucht, sollte sich stattdessen das Städtchen Ostheim vor der Rhön ansehen und dort zurück in die Vergangenheit reisen.
Fünf Wehrtürme sind schon von Weitem zu sehen. Die größte und besterhaltene Kirchenburg Deutschlands überragt die Wohnhäuser des Orts, der im Jahr 804 erstmals urkundlich erwähnt wird.
Die Wehranlage wurde in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zum Schutz der Stadt erbaut, das eisenbeschlagene Tor hat bereits den Dreißigjährigen Krieg überstanden. Historisches Flair verströmen auch einige Fachwerkhäuser in der Markstraße, das Rathaus mit seinem Glockenspiel und die Stadtmauer, an der das Flüsschen Streu entlangplätschert.
Mit der Rangerin unterwegs
„So könnte der Wald auch vor 400 Jahren ausgesehen haben“, sagt Naturparkrangerin Amelie Nöth, als wir einige Stunden später auf einem Pfad zwischen hüfthohen Farnen und umgestürzten Baumriesen in der Kernzone des UNESCO-Biosphärenreservats wandern. Gerade quert eine Ameisenstraße unseren Weg am Lösershag, zwischen den Ästen einer Bergulme hängt ein überdimensionales Spinnennetz.
Plötzlich hören wir rhythmisches Klopfen und entdecken einen Schwarzspecht mit leuchtend rotem Kopfgefieder. Seit mehr als 60 Jahren lässt der Mensch die Natur rund um die 765 Meter hohe Basaltkuppe einfach sein und greift nicht ein. So entstand ein Urwald, in dessen Kern eine imposante Basaltblockhalde liegt.
Basalt: Mikroklima für Spezialisten
„Nur Spezialisten meistern diesen von einem besonderen Mikroklima geprägten Lebensraum“, sagt Rangerin Amelie. Im Sommer ströme warme Luft in den oberen Haldenbereich ein, kühle sich im Inneren ab, um am Fußende kalt-feucht auszutreten. Deshalb seien die unteren Basaltblöcke von dichtem Moos und Blattflechten bewachsen, während am heißen Haldenkopf Moose siedelten, deren die Sonne reflektierende Glashaare vor Verdunstung schützten.
Außerdem lebten im Geotop verschiedene Arten, die fast Relikte aus der Eiszeit darstellen, darunter die Alpenspitzmaus und die Blockhaldenspinne, deren Bestand Amelie und ihre Rangerkollegen in einem Forschungsprojekt beobachteten.
Vorbei an dick mit Zunderschwämmen besetzten Buchenresten wandern wir auf verschlungenen Pfaden, bis wir am Saum des Urwaldes in die Sonne blinzeln. Vor uns erstreckt sich ein renaturierter Steinbruch, eine weite, mit Wasser gefüllte Grube mit Wänden aus Basalt, in der sich das Blau des Himmels mit dem Grün des Waldes mischt.
„Deshalb liebe ich diese Gegend“, sagt, Amelie, „auf kleiner Fläche finden sich ganz unterschiedliche Biotope und seltene Tierarten, und die Basis bildet immer der vulkanische Ursprung der Rhön.“
Wanderwege zu Geotopen
Das Biosphärenreservat macht es einem aber auch leicht, tiefer in die Erdgeschichte einzusteigen. Ein Netz aus Wanderwegen führt über die Höhen der sogenannten Langen Rhön, vorbei am Geotop Schwarzes Moor, in dem ein Bohlenweg dafür sorgt, dass man trockenen Fußes zwischen lichtem Moorbirkenwald, Torfmoosen und dunkel-schwarzen Mooraugen vorankommt.
Am ehemaligen Steinbruch Steinernes Haus ragen Basaltblöcke aus dem Ufer eines idyllischen Waldsees, und bei Wartmannsroth fällt der Eidenbach über gewaltige Buntsandsteinblöcke.
Weinanbau seit dem Jahr 777
19,5 Hektar bewirtschaften Ulrike und Thomas Lange auf einem Weinberg aus Muschelkalk, den Karl der Große dem Kloster Fulda schenkte. Die beiden arbeiten nach streng biologischen Regeln: „Unsere Reben sind Teil des Ökosystems, Marienkäfer, Schlupfwespen und Falter fressen Schädlinge, die Einsaat von Sonnenblumen, Wicken und Malven sorgt für ausreichende Nährstoffe für die Weinstöcke“, erzählt Ulrike bei einem Spaziergang durch den Weinberg.
Ihre spontan vergorenen Bioweine haben Goldmedaillen gewonnen, auf der Weinbergmauer oberhalb des „Kavalierhäuschens“, das die Hammelburger Äbte für Schäferstündchen nutzten, setzen wir uns und probieren Grauburgunder, Spätburgunder und Silvaner, bis die Sonne uns in den Schatten schickt.
Oberelsbach: Frischeste Forelle vom Teich nebenan
An der „Fischerhütte Edwin“ spenden Sonnensegel und Bäume am Ufer der Sonder Schatten. Die Rhönforellen, die in den Teichen gezogen werden, schätzen das Quellwasser des Baches, der am Lokal vorbeifließt.
Auf der weinumrankten Terrasse haben sich Vanessa und Christopher Herbert mit frisch gebratener Forelle gesetzt, nur das Glucksen der Sonder hängt in der Luft. „Das ist unsere Hintergrundmusik, mehr braucht es nicht“, sagt Vanessa. Christopher ergänzt: „Unsere Gäste sollen runterkommen, die Natur und das, was sie uns schenkt, genießen.“
Frischere Forellen als hier, ehrlich und schnörkellos zubereitet, finden sich kaum. Dass viele Gäste diese Stimmung schätzen, dafür sorgt Vanessa im Service und Christopher in der Küche. „Hier zu sein, das ist pures Glück“, sagt Vanessa, gemeinsam den hauseigenen Apfelsaft zu pressen, Kräuter oder Holunderblüten für die Gerichte zu sammeln, sei eine Freude.
All diese Eindrücke sacken lassen, das geht am besten auf einer Bank in der Weite der Langen Rhön. Ein Rotmilan kreist vor Sommerwolken über bunt getupften Bergwiesen. Aus der Ferne ist leises Schafblöken zu hören. Am Horizont vereinen sich die grünen Ausläufer der Rhön mit dem Horizont. Wie schön!
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