Koch Bernhard Raab auf Wildkräuter- und Beerensuche im Fichtelgebirge
Wild und Mild

Kräuter gehören zur guten Küche wie Hopfen zum Bier. Im dünn besiedelten Fichtelgebirge wachsen Giersch, Spitzwegerich und Goldmelisse sowie 1.000 weitere essbare Pflanzen und Kräuter wild vor der Haustür. Sie werden von Köchen und Brennern verarbeitet

Lesezeit: 15 Minuten

Essbares Fichtelgebirge

Es brutzelt und dampft in der Küche von Julia Pöllath. Auf der Anrichte wartet das hausgemachte Würzöl auf seinen Einsatz für die gebratenen Steinpilze, in der Küchenmitte stehen Gläser mit frischen Kräutern.

„Das Würzöl verwenden wir als Pesto oder als Dressing“, sagt Julia, während sie eine Pfanne mit Bärlauchnudeln und daneben Cordon bleu mit Bärlauchfüllung zubereitet.

Würzig duftenden Oregano, Liebstöckel, Rosmarin und Thymian holt sie aus dem Garten neben der Wirtsterrasse, den Bärlauch pflückt sie im Wald direkt hinter dem Haus. Ein bis zwei Monate legt sie die Kräuter in Öl, bevor sie diese absiebt und das Würzöl abfüllt.

Vor 250 Jahren stand dort, wo Julia mit ihrer Mutter Edda kocht, ein Forsthaus, das ab 1882 als Bierwirtschaft diente und vor allem von Torfstechern zur Einkehr genutzt wurde. Der größte Teil der Moore wurde bis in die 1960er-Jahre abgebaut oder trockengelegt. Der mehr als 1.000 Quadratkilometer große Naturpark Fichtelgebirge im Nordosten Bayerns soll die noch vorhandene Artenvielfalt des hufeisenförmigen Mittelgebirges erhalten.

Sonnenaufgang über einer Blumenwiese bei Neugrün im Fichtelgebirge

Von der Wiese in den Kochtopf

Als die IHK vor ein paar Jahren eine professionelle Weiterbildung zur Kräuterköchin anbot, fühlten sich Julia und Edda angesprochen, schließlich lebten und arbeiteten sie ja sowieso schon mitten in der Natur. „Unsere Idee war, vor die Tür zu gehen und eine Handvoll Wiese in den Topf zu werfen“, erinnert sich Julia.

Schon während des Kurses wurde klar, dass weniger mehr ist. Schließlich haben viele Wildkräuter einen starken Eigengeschmack und können zudem bei starker Überdosierung auf den Magen schlagen. Deshalb nutzt Julia die wilden Kräuter nur für ausgewählte Gerichte. Zusätzlich sammelt sie auch Holunderblüten für ihren eigenen Essig, verkocht Äpfel und Birnen von Streuobstwiesen zu süßem Ragout und setzt Aroniasaft an.

Auf ihrer Terrasse entfaltet sich bei Bärlauchnudeln und Aroniasaftschorle ein entspanntes Flair. Im Garten gegenüber stolziert ein Pfau zwischen schnatternden Gänsen umher. Irgendwo kräht ein Hahn. Wasser plätschert über Steine, ansonsten ist da nur Wald. Es passt, dass Julias Gasthof „Waldfrieden“ heißt.

Kräuterköchin Julia Pöllath sammelt verschiedene Kräuter für ihre Küche im Gasthof Waldfrieden im Fichtelgebirge
Bärlauchnudeln mit Blumen und Kräuterdekoration

Über die waldigen Höhen des Fichtelgebirges

Etwa 20 Kilometer sind es von Brand, wo Julia Pöllath kocht, bis nach Weißenstadt zu „Sack’s Destille“. An den bewaldeten Berghängen von Hoher Matze und Ochsenkopf vorbei schlängelt sich die Fichtelgebirgsstraße über die Europäische Hauptwasserscheide. Hinter Bischofsgrün öffnet sich der Wald, die Landschaft weitet sich nach Osten hin zum Weißenstädter See.

Die Destille liegt unweit des Marktplatzes in einem leuchtend gelb gestrichenen Stadthaus. Auch wenn Weißenstadt an der Oberfläche mit seiner mächtigen Stadtkirche und den farbigen Fassaden proper aussieht, im Untergrund bewegt sich so einiges. Ein großer Teil des Stadtgebiets ist von Stollen durchzogen, die vom Erzabbau in früheren Jahrhunderten stammen. Sie führen regelmäßig zu absackenden Mauern und welligen Straßen.

Gerade hätten sie die große Destille ausgebaut und in ein neues Gebäude transportiert, weil eine alte Wand neben der Destille langsam nachgab, erzählt Brenner Marcel Völkel und schenkt ein Gläschen „Fichtelgold“ ein.

Aber die Bezeichnung Brenner stimmt nur teilweise. Marcel hat die seit 1864 bestehende Brennerei 2019 übernommen und firmiert seither nicht nur als Brenner und Chef, sondern auch als Abfüller, Versandabteilung und Marketingverantwortlicher.

Für diesen Traum hat er seinen sicheren Job aufgegeben. „100 Prozent Handarbeit, 100 Prozent Natur und 100 Prozent Verantwortung, das ist für mich die perfekte Kombi“, stellt er dazu fest.

Brenner Marcel Völkel schenkt in der

Hochprozentiges aus über 30 Kräutern

Aber zurück zum „Fichtelgold“. Dieser Edelbitter besteht aus 32 Kräutern und fünf Destillaten, das Urrezept zum 44-Prozenter dürfte mindestens 100 Jahre alt sein und stammt von den Namensgebern der Brennerei, der Familie Sack. Neben Kalmuswurzeln, Angelikawurzeln und Piment steckt viel Arnika in der goldfarbenen Flüssigkeit, die aromatisch schmeckt und lange am Gaumen hängen bleibt.

„Fichtelgold“ besteht aus 32 Kräutern und fünf Destillaten, das Urrezept zum 44-Prozenter dürfte mindestens 100 Jahre alt sein

Während das „Fichtelgold“ noch nachwirkt, öffnet Marcel die nächste Flasche. Schließlich sollte jeder, der das Fichtelgebirge schmecken wolle, seinen Bärwurzgeist probieren. Im Gegensatz zum hochprozentigen Bärwurz aus dem Bayerischen Wald, für den die Wurzel des geschützten Gewächses gestochen wird, sammelt Marcel nur die Beeren der Pflanze, das sei nachhaltiger. Die Beeren legt er in Alkohol ein und mazeriert sie mehrere Wochen, bevor destilliert wird. Das Ergebnis ist ein Geist, der sehr würzig riecht und zumindest im Ansatz nach Rettich schmeckt.

Wie das „Fichtelgold“ ist der Geschmack von Marcels Bärwurzgeist eigentlich mit nichts anderem zu vergleichen. Vergleichbar ist lediglich die Geschwindigkeit, mit der die beiden Getränke für einen heißen Rachen und einen warmen Bauch sorgen.

Kräuterkoch Thomas Puchtler pflückt Schafgarbe, Spitzwegerich und Giersch für ein Gericht
Saltimbocca mit Spitzwegerich

Wildes Saltimbocca in Bischofsgrün

Warm ist es an diesem Sommerabend auch auf dem kopfsteingepflasterten Kirchplatz von Bischofsgrün. Der prächtige Maibaum wirft einen langen Schatten auf den Gasthof „Deutscher Adler“, unter den ausladenden Sonnenschirmen flirren muntere Urlaubsgespräche. Irgendjemand knattert auf einem altersschwachen Moped vorbei.

In der Küche drapiert Chef Thomas Puchtler frische Spitzwegerichblätter auf Kalbsschnitzel, umwickelt alles mit fränkischem Bauernschinken und legt dann das „wilde Saltimbocca“ in die heiße Pfanne.

Noch vor einer Stunde stand der Spitzwegerich am Hang hinter dem Gasthaus, bis er von Thomas abgerupft wurde und beim italienischen Klassiker anstatt des üblichen Salbei zum Einsatz kam.

Wildkräuter in schmalen Gläsern

Wildkräuter für Schnitzel und Knödel

Thomas hat ebenfalls den Wildkräuterkochkurs mit IHK-Zertifizierung absolviert. Ein Augenöffner, sagt er. Über 1.000 essbare Pflanzen und Kräuter wachsen immerhin im Fichtelgebirge.

Oft geht er aber nur auf die Wiese hinter dem Haus. Am Jahresanfang sammelt er Holunderblüten, später Vogelmiere, Frauenmantel und Schafgarbe. Giersch wächst in rauen Mengen, am liebsten unter dem Mast eines stillgelegten Schlepplifts. „Schade, dass der nicht mehr läuft“, sagt Thomas mit einem Lächeln, „vom Lift könnte ich direkt an den Herd fahren“ – die Aufstiegshilfe endet in seinem Garten.

Inzwischen werden in der Küche Schnitzel mit Brennnesselsamen paniert, in den Semmelknödelteig mischt Thomas Giersch, Frauenmantel und wieder Brennnessel – fertig ist der Wildkräuterknödel. „Ein Spinatknödel wird kaum anders zubereitet, aber die einheimischen Kräuter geben eben einen würzigen Kick“, sagt er.

Und sie sorgen dafür, dass Gäste schon mal fragen, was sie denn mit dem Giersch auf dem Teller machen sollen. Aufessen, antwortet er dann, einfach aufessen und sich an dem an Spinat erinnernden Geschmack erfreuen.

Obwohl das Fichtelgebirge mit seinen Wildkräutern geradezu dazu verführt, mit all den schmackhaften Gewächsen zu kochen – üblich ist es nicht. „Aber zumindest sind die Zeiten vorbei“, erzählt Thomas, „als die Nachbarn sich im Ort zuflüsterten, bei ihm müssten die Geschäfte schlecht laufen, weil er jetzt schon seinen Salat von der Wiese hinter dem Haus holt.“

Koch Bernhard Raab auf Wildkräuter- und Beerensuche im Fichtelgebirge
Wildkräuter und Brombeeren in einer Flechtschale

Halali für Wild und Kräuter

Als Bernhard Raab am nächsten Morgen in Jägerkluft und mit Flinte im Weiler Neugrün, etwa 15 Kilometer südlich von Bischofsgrün, in seinen Pick-up steigt, ist es noch dunkel. Auf dem Weg von seinem Gasthof „Zum Loisl“ in den nahen Wald springt ein Fuchs über den Forstweg, sein Fell leuchtet für einen Augenblick rötlich im Scheinwerferlicht. Kurz danach parkt Bernhard und nimmt ein Körbchen vom Beifahrersitz. Auf der nahen Lichtung hängen dünne Nebelschlieren, Tau benetzt die Stiefel.

Weiter hinten am Waldrand zupft er die ersten Kräuter und zerreibt einige der Blättchen. „Quendel“, sagt er, „wird auch wilder Thymian genannt.“ Und tatsächlich duften die Blätter genauso, wie ganz Griechenland im Frühsommer duftet. Weil auch der Geschmack kräftig sei, nutze er nur die Blüten, zum Beispiel für Crème brûlée.

Daneben steht Hohlzahn, stachliger Stängel, kleine, lila Blüten. Diese verwende er vor allem als essbare Deko im Salat. Auf dem Magerrasen der Lichtung wächst auch Frauenmantel und Dost, unter den Bäumen am Waldrand findet Bernhard maronenartige Blaupilze. Schnell ist das Körbchen gefüllt, und er macht sich zu seiner Lieblingskanzel im Dresselwald auf.

Der Hochsitz steht oberhalb eines mit Moos bewachsenen Granitfindlings, an dessen Fuß Bernhard noch schnell Brombeeren fürs Dessert sammelt. Jagen wird er heute nicht, aber er will die magische Morgenstimmung genießen und sehen, was sich in seinem Revier tut.

Bandnudeln mit geschmorten Junghirschwürfel in Steinpilzrahm und Rotwein-Preiselbeeren im Gasthof Zum Loisl im Fichtelgebirge

Jäger und Wildkräuterkoch

Bernhard ist im Fichtelgebirge bekannt für seine Wildgerichte. Dabei ist es dem Koch besonders wichtig, dass er, wenn er ein Tier erlegt, alles verwendet. Das sei eine Selbstverständlichkeit und seine Ehrbezeugung dem Wild gegenüber, erklärt er. Auf Neudeutsch heißt das „nose to tail“ …

Etwas später am Kachelofen in der holzgetäfelten Wirtsstube des Gasthauses „Zum Loisl“ in Neugrün warten Semmeln, Kaffee und selbst gemachte Brombeermarmelade. Irgendwann wollte er seine Gerichte mit Wildkräutern veredeln, erzählt Bernhard. Dabei wolle er seinen Gästen die Kräuter der Region nahebringen, aber nicht als Selbstzweck, sondern sie sollen lediglich die Speisen unterstützen.

Aber am besten sei es, man komme mit in die Küche, in der ihm seine Mutter hilft, während der Vater, ein Mann mit grauem Vollbart und langer Lederhose, den Service schmeißt.

Maronen-Röhrling: Frisch angeschnitten färben sie sich blau, in der Pfanne werden sie goldgelb
Hirschlende mit Vogelbeeren: Es ist angerichtet im

Pilze, die ihre Farbe wechseln

Nicht lange, dann ist eine Hirschlende fein zerteilt und Karotten köcheln im Topf. Bernhard schneidet die Blaupilze, die sich sofort an den Schnittflächen blau färben, aber in der Bratpfanne goldgelb werden. Neben einer Karottencrêpe brutzelt die Hirschlende mit einem Quendelzweig in einer anderen Pfanne.

Nach ein paar Minuten rollt Bernhard das Wildfleisch zusammen mit selbst kandierten Vogelbeeren und einer Farce aus Quendel, Sahne und Kalbfleisch in die Crêpe, bevor alles im Ofen fertig gegart wird.

Bernhard serviert in der Wirtsstube. Saftig ist die Hirschlende, raffiniert verbindet sich ihr leichter Wildgeschmack mit dem Quendel, der Süße der Karotten und der Säure der Vogelbeeren, ein Barock Dunkel von der Weltenburger Klosterbrauerei rundet das Ganze ab.

Wie kommt man wohl auf dieses Gericht? „Ich stelle mir vor, wie es schmecken soll, und dann arbeite ich so lange daran, bis es genauso schmeckt“, schildert Bernhard sein Vorgehen. Die Vielfalt der Wildkräuter aus dem Fichtelgebirge hilft ihm dabei.

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