Mal spritzt es beim Abseilen im Wasserfall, mal beim Wildwasserslalom im Schlauchkanadier: Die Schluchten und Flüsse rund um Sonthofen machen Kombinationen aus Canyoning und Rafting möglich
Canyoning und Rafting im Allgäu
Lisa Bachinger ist Canyoning-Profi. Zwischen Mai und Oktober steht sie so gut wie jeden Tag im Bergwasser. Ungefähr 150 „Schluchtel“-Touren führt die junge Allgäuerin pro Saison durch und weiß daher nur allzu gut, wie man Jung und Alt Abenteuerspaß vermittelt. Und wann der Spaß aufhört.
Bei uns scheint das der Fall zu sein. Als wir morgens im „Basislager“ von MAP-Erlebnis ankommen, verkündet Lisa: „Der Plan, durch die Starzlachklamm zu gehen, klappt leider nicht. Zu viel Wasser, zu gefährlich.“ Gut, dass es rund um Sonthofen Alternativen gibt. Plan B? Die Schwarzwasserbachklamm. Sie ist ebenfalls als Level zwei für „sportliche Einsteiger“ deklariert, „auch wenn sie voller Überraschungen steckt“.
Die Messwerte sähen zwar gut aus, aber den endgültigen Status quo könne man nur vor Ort feststellen. Also nichts wie hin! Schließlich sind es nur 25 Minuten bis Riezlern im Kleinwalsertal. Das gehört zwar zu Österreich, fühlt sich aber wegen der „unsichtbaren Grenze“ und der Tatsache, dass man die Enklave nur über das Allgäu erreichen kann, nicht so an.
Auf zu den Kessellöchern!
Beim Schnellcheck an der Brücke reckt Lisa den Daumen. „Auch wenn hier ebenfalls ordentlich viel Wasser rauscht: Probieren wir’s!“ Flugs streifen wir im Bus Kleidung, Ketten, Brillen ab und Neoprensocken sowie wasserfeste Schuhe über und quetschen uns in Taucheranzüge, deren Ärmel wir gleich wieder runterziehen.
Schließlich wandern wir erst einmal eine halbe Stunde bergauf, da soll der Gummifrack nicht noch einen Extraschwitzgrund liefern. Am Einstieg in die Schlucht angekommen sieht es gar nicht nach Schlucht aus – alles wirkt eher mild als wild: Sträucher am flachen Ufer, ein sanft dahinfließender Schwarzwasserbach, dessen ganz und gar nicht schwarzes Wasser bis zur Wade reicht. Aber nicht täuschen lassen!
Wir sehen: eine Art Felsentor, in dem der Bach verschwindet. Wir hören: Getöse. Wir spüren: eisige Kälte, als wir uns ins Wasser legen. Zum „Drangewöhnen“, wie Lisa meint. Danach „Safety-Talk“, Helm aufgesetzt, Klettergurt festgezurrt. Der kommt auch gleich zum Einsatz, am linken Fels wartet ein Stahlseil.
„Dort mit den Karabinern einklinken, immer doppelt!“ Bestens gesichert geht es den Miniklettersteig an der rasch stattlicher werdenden Wand entlang, mal auf natürlichen Felstritten, mal auf künstlichen. Um die Ecke eröffnet sich uns eine von schroffen Felsen eingerahmte Wasserwunderwelt mit gurgelnden Bächen, einem Wasserfall und einer mächtigen Gumpe, deren Wasser nun doch recht schwarz erscheint. Tata, die Kessellöcher!
Sprung ins Schwarze
Abspringen oder Abseilen? Das ist hier die Frage. Und die will rasch geklärt werden. Schließlich stehe ich auf einem schmalen Tritt, unter mir sieben Meter Wand. Es gewinnt das Springen – und zwar so, wie Lisa es erklärt: ausklinken, hüpfen, Knie leicht anwinkeln, Arme an den Schultern überschränken. Aaaaah und ooh, platsch und brrr! Ein wahrer Adrenalinkick. Nach dem Auftauchen forme ich mit der Hand am Kopf ein O für „Okay“. Bei lautem Wasser hilft nur nonverbale Kommunikation.
Später will ich wissen, warum keine Handschuhe zum Einsatz kommen. „Schlecht beim Klettern“, meint Lisa, „weil: kein Gefühl in den Fingern!“ Und das braucht es unbedingt, auch bei den nächsten Passagen. Mal rutschen wir über Steine, mal hangeln wir uns an Ästen durch das Wasser, balancieren am Abgrund. An einer Stelle geht es nur via Abseilen weiter. Da ist Vertrauen gefragt, als ich mich ohne Hände nach hinten lehne, nur von Lisas Seil gehalten. Die hat selbst nur eine Hand am Strang, mit der anderen macht sie Schnappschüsse.
„Mit Flaschenzug und ein paar Tricks kann ich jeden halten“, meint sie und seilt mich hinab ins immer feuchtere Ungewisse. Der Wasserfall! Erst tröpfelt, dann prasselt er auf den Helm, bevor sein Schwall mich packt und über eine steinerne Rutsche ins Felsbecken spült. Ein starker Rücklauf drückt mich kurz unter Wasser. Uff, wieder Luft.
Richtiges Abseilen ist alles
Manchmal fühlt es sich seltsam an, dass man den Thrill sucht und im nächsten Moment davor Bammel hat. Etwa bei einem Gumpensprung, der eines Extraschritts bedarf. Dass der Spot nicht ohne ist, merkt man daran, dass Lisa nicht wie üblich neben uns steht, sondern am „Ausgang“ des Bachbeckens mit einem gespannten Seil – damit die Strömung keinen über die Kante spült. Hinter der Kante geht es 18 Meter in die Tiefe. Schluck!
18 Meter in die Tiefe? Wow!
Doch ich habe verinnerlicht: Mit Konzentration, Beherztheit und wenn man den Anweisungen des Guides genau folgt, geht so gut wie nie etwas schief. Statt die Actionstelle zu umgehen (was möglich wäre), springe ich also in weitem Bogen hinunter ins Nass. Alles easy. Alles? Nun, der Wasserfall ist immer noch da. Doch ich entkomme dem Sog ...
„Ich genieße es, in der Wand zu hängen, mich ab und an abzustoßen, das Wasser prasseln zu spüren und dann wieder festen Boden unter den Füßen zu haben“
Der thrillig-chillige Actionmix macht richtig Laune. Zum Finale geht es neben dem Wasserfall am Seil in die Tiefe. Ich genieße es, in der Wand zu hängen, mich ab und an abzustoßen, das Wasser von oben und der Seite prasseln zu spüren und wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Kurz danach landet Lisa neben mir, holt das Seil von oben ein und verstaut alles im Packsack. Beschwingt geht es zum Bus.
Zeit für trockene Kleidung und Überlegungen für den Nachmittag. Der Plan: Wir laufen von Sonthofen aus zur Starzlachklamm und machen uns im Wanderoutfit statt im Neopren ein Bild von der Situation. Vor Ort wird klar, was Lisa meinte, als sie sagte, die Starzlachklamm sei das komplette Canyoning-Gegenteil vom Schwarzwasserbach. Trumpft letzterer mit hohen Sprüngen und XL-Abseilpassagen auf, kommt die Starzlachklamm deutlich enger und „gurgeliger“ daher, mit niedrigeren Sprüngen, dafür mehr Kletterei und langen Rutschen auf glatten Felsen. So lustig man sich das vorstellt: Beim derzeitigen Wasserstand wirken die kesselförmigen Wassermühlen nur bedrohlich.
Fischen? Raften!
Vereitelt viel Wasser mancherorts das Abenteuer, ermöglicht es an anderer Stelle erst die Action, etwa beim Raften. In trockenen Wochen lässt sich die Iller von Fischen nach Sonthofen nicht bepaddeln, nur deren weiterer Abschnitt. „Der ist zwar gemütlich, aber wir wollen ja Action!“, schwört uns Tobias Frost ein, als wir uns zur Morgenrunde am „Schiff “ in Bihlerdorf treffen.
Diesmal ist mehr Equipment nötig, das wir in der XXL-Scheune – außen kunterbunt, innen urig und voller Material – zusammenpacken. Zurück bleiben die Wertsachen, inklusive Ehering. „Falls man kentert“, erklärt Tobias, „zieht sich aufgrund der Kälte die Haut zusammen und da kann der Schmuck im Eifer des Gefechts abrutschen. Alles schon passiert.“
Diesmal ist die Busfahrt kürzer, aber die Einweisung länger. Tobi, Vollblutpaddler mit intensiver Ausbildungskarriere, informiert uns über den Fluss, Paddeltechniken und das knallrote Gummiboot, in dem wir zu zweit fahren, während Tobi allein im Hardshell-Kajak unterwegs ist.
Kaum hocken wir im Schlauchkanadier, erfasst uns die Strömung. Gleich die erste Challenge: nicht zu nah an den Brückenpfeiler kommen, also beherzt das Stechpaddel einsetzen. Tobi erinnert uns: „Der Hintermann steuert und gibt klare Kommandos. Der Vordermann paddelt stets auf einer Seite, durchaus auch mal wie ein Irrer, wenn es sein muss.“ Wann das genau der Fall ist, verraten enge Kurven, Schaumkronen und Tobias‘ Zurufe vom Beiboot aus.
Der perfekte Fluss für Rafting-Einsteiger
Welche Wildwasserstufe das hier sei, wollen wir wissen. „Manche sagen eins, manche zwei, hängt auch vom Wasserstand ab und vom Vergleich mit anderen Flüssen. Eines aber ist gewiss: Die Iller ist der perfekte Einsteigerfluss fürs Wildwasser-Rafting.“
Schließlich werde ordentlich was geboten, aber andererseits sei der Fluss weder zu breit noch habe er enge Felspassagen. „Nach Hindernissen kann man stets an Land, gegebenenfalls sogar die Tour abbrechen.“ Das komme zwar sehr selten vor, aber es gebe Unentschlossenen Perspektive, genauso wie Familien mit Kindern, die hier auch unterwegs sind. Im Hochsommer könne es richtig voll werden auf dem Fluss.
Wir lernen, wie man nach einem Fels ins Kehrwasser kommt: Man legt einen U-Turn hin und paddelt wie ein Irrer gegen den Strom. Verschnarcht man das, ist die Chance auf einen strömungsfreien Boxenstopp passé und der Fluss nimmt einen mit. Etwa zu einem quirligen Weißwasser, das wir mit Hurra durchfahren.
„An dieser Stelle übe ich mit Gruppen gern das Surfen“, verrät uns Tobi und zeigt uns im Kajak, wie das geht. Aha, von der Seite in den Schwall einfahren und dann auf der „Zunge“ die Stellung halten. Cool. Als er abdreht und plötzlich eine Eskimorolle vollzieht, fällt uns die Kinnlade runter.
„So, und jetzt machen wir das zusammen im Kanadier!“ Natürlich ohne die Rolle. Spannend ist es auch so. Und erhebend, als wir für einige Schläge wirklich die Balance halten und, ja, surfen. Bis zu dem Moment, als Wasser über Bord kommt, viel Wasser. Schwupps, schon sind wir gekentert, was uns aber egal ist. Lachend schwimmen wir, die Paddel festumschlossen und die Bootsleine in der Hand, ans Ufer.
Danach wird die Iller gemütlicher und wir genießen die Natur. Hier ins Wasser reichende Äste, dort ein Eisvogel, und war das dort im Gebüsch ein Biber? Vor unserer Endstation will ein letztes Hindernis überwunden werden. Es wird vorab vom Ufer aus beäugt und besprochen. Wir sehen etliche Felsen, die man erst rechts, dann links umfahren muss, was beherzte Steuermanöver verlangt. Sollen wir das wirklich wagen? Na klar! Ich geb erst mir einen Ruck, dann dem Boot. Als das dreifache Manöver unfallfrei gemeistert ist, fühlen wir uns königlich.