Offizielle Öko-Siegel interessieren Schorsch Kössel nicht. Trotzdem ist sein Kräuter-, Gemüse- und Obstgarten im Allgäu ein Musterbeispiel biologischer Landwirtschaft. Wir schnupperten mal rein …
Bärengarten: Kräuter, Gemüse und Obst aus dem Allgäu
Wo ist der Schorsch denn? Grad war er noch da in seinem Mini-Büro im „Burghotel Bären“. Sicher ist er schon wieder im Garten unterwegs. Vielleicht bei den Tomaten. Ein Dschungel mit roten, gelben, orangefarbenen, grünen und schwarzen Früchten drängt sich im Gewächshaus. Schorsch mittendrin. 140 Sorten hat er hier, 80 weitere wachsen und gedeihen übers Jahr im Freien.
Schorsch stellt uns seine Tomaten vor, etwa die schwarze „Königin der Nacht“ („schön, allerdings vom Geschmack her nicht so toll“) oder die grüne „Saucy Mary Dwarf“ („spektakulär im bunten Tomatensalat“). „Manche sind halt zum Schönsein da, andere eher für den Geschmack“, konstatiert Schorsch und steigt auf sein Elektro-Quad mit kippbarer Ladefläche. Den Strom dafür produziert er selbst mittels Photovoltaik.
Auf insgesamt 4,5 Hektar entstand seit 2007 Zug um Zug der „Bärengarten“. Von Mitte Mai bis Oktober weiht Schorsch an jedem Mittwoch um 10.30 Uhr Besucher auf kostenlosen Führungen (Spende für einen guten Zweck erwünscht) in sein „Bayerisch Feng-Shui“ ein.
So nennt er sein über viele Jahre erworbenes Wissen rund um organischen Anbau, Pflanzenvielfalt, Mischkultur, ideale Böden, die Heilkräfte der Kräuter und vieles mehr. „Gestern waren achtzig Leute da“, sagt er stolz und reicht uns ein paar Blättchen Sauerampfer zum Probieren.
Allgäu-Kräuter statt TCM
Schorsch ist in fünfter Generation Besitzer des weitläufigen Geländes in der 1.200-Einwohner-Gemeinde Eisenberg. Nach Pfronten und Füssen mit seinen Königsschlössern ist es nicht weit. Die Burgruinen Eisenberg und Hohenfreyberg erreicht man auf einer kleinen Wanderung.
Der „Bären“ ist seit dem frühen 19. Jahrhundert eine Wirtschaft, 100 Jahre später entstanden die ersten Gästezimmer. Hotel und Restaurant wurden zur Haupteinnahmequelle der Familie Kössel, die Landwirtschaft geriet in den Hintergrund.
„Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten“
1998 übernahm Schorsch den Familienbetrieb. Seit Sohn Joshua als Küchenmeister und Tochter Pauline als Restaurantleiterin arbeiten, kann er sich voll und ganz seiner Leidenschaft widmen, dem Gärtnern. Säen, Pflanzen, Gießen, Ernten, Trocknen. Und ja: auch ein bisschen die Welt verbessern.
Schorsch hat sich auf seinem Land der Verantwortung für die Schöpfung verschrieben. Dort hängt für ihn alles mit allem zusammen. Der Garten fordert viel Zeit, öffnet die Augen für verborgene Schönheit und macht demütig angesichts des Reichtums der Natur. Dazu passt Schorschs Lieblingsspruch: „Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten“.
Zwanzig Sorten Basilikum
Thaibasilikum, Buschbasilikum, „blauer Afrikaner“ oder sein fruchtig schmeckender Favorit „Wildes Purpur“ – allein an Basilikum kultiviert Schorsch rund zwanzig Sorten. Insgesamt hat er so grob geschätzt mehr als 900 verschiedene Kräuter im Garten.
Über dem Oregano tanzen weiße Schmetterlinge. Am Fenchel und Dill tummelt sich das Tagpfauenauge. Bienen sind sowieso überall unterwegs. Eine intakte Beziehung zwischen Tier- und Pflanzenwelt liegt Schorsch besonders am Herzen.
Sein „organisch-elementarer“ Garten kommt selbstverständlich ohne Fungizide, Pestizide und Herbizide aus. Von offiziellen Öko-Siegeln hält Schorsch aber nichts, er will es auf seine Art machen und sich von niemandem dreinreden lassen.
Tee aus dem Kräuterlabor
Von den vielfältigen Eigenschaften, Anwendungen und Heilkräften der Kräuter ist er fasziniert. Ganz klar, dass das nicht rein akademisch blieb, auch wenn Schorsch bereits mehrere Bücher über sein Kräuterwissen veröffentlicht hat.
Einen Nebenraum des Hotels hat er zum Kräuterlabor umfunktioniert. Dort mischt er etwa Passionsblume, Schafgarbe, Rosenblüten, Hibiskus, Jiaogulan und Ashwagandha zum nervenstärkenden und beruhigenden „Schlaftee“. Immer neue Kreationen denkt er sich aus, experimentiert mit den Wechselwirkungen der getrockneten Gartenschätze.
Sein Lieblingskraut? „Die Brennnessel! Sie ist die wohl wirksamste Heilpflanze unserer Breitengrade: blutreinigend, entgiftend, reich an Vitaminen und vielen weiteren Vitalstoffen.“
Die Fahrt mit dem E-Quad zum Forellenteich führt uns vorbei an einer 180 Jahre alten Linde. „Hat sie nicht eine geradezu mütterliche Ausstrahlung?“, ruft Schorsch mit einem begeisterten Seitenblick und fügt hinzu: „Eigentlich werden alle Pflanzen über die Jahre immer charismatischer!“
Das gilt auch für die rund 150 alten Obstbäume auf dem Gelände: „Die haben viel mehr Schutzstoffe, die sie vor Schädlingen bewahren, als die ganzen neuen, hochgezüchteten Sorten!“ Zur Landwirtschaft gehören zudem alte Hühner- und Schweinerassen, eine kleine Schafzucht sowie zwölf Bienenvölker.
Ein Süppchen, das nach Sommer schmeckt
Am Teich greift sich Schorsch den Kescher, um Lachsforellen für das Restaurant zu fangen. Eine Quelle versorgt den Teich mit Frischwasser, Libellen schwirren umher. Später am Abend liegen die Forellenfilets mit Zucchinispaghetti auf unseren Tellern, begleitet von einem üppigen Tomatensalat (rot, gelb, grün, schwarz), natürlich mit Basilikum.
Im vorab servierten Kräutersüppchen mit Ringelblumen und Kapuzinerkresseblüten versammelt sich die Essenz des Gartens. Es schmeckt so, wie ein Sommertag sein sollte: luftig, erdig und voll verheißungsvoller Aromen.
Diese feine, schön präsentierte Küche würde man eher in einem stylischen Restaurant erwarten als in diesem zwar großen, aber sehr bodenständigen Gasthaus. Egal, Schorsch hat anderes zu tun, als sich um Interior Designs zu kümmern.
Eingefangene Sonnenergie
Bevor er wieder loszieht, um nach den Bohnen zu sehen, macht Schorsch uns noch auf das Bier aufmerksam, das bei ihm ausgeschenkt wird. Es stammt vom „Kössel-Bräu“.
Schorschs Vater hatte 1986 das Maria-Hilfer Sudhaus in Speiden gekauft. Nun ist dort sein Neffe Philipp als Braumeister und Produktionsleiter am Ruder. Im schattigen Biergarten der alten Brauerei sitzt es sich schön. Und wem gerade nicht der Sinn nach Alkohol steht, der bestellt die herb-würzige „Mentha“-Limonade, eine Kreation des jungen Braumeisters aus auf einem nahen Acker angebauter Pfefferminze – natürlich inspiriert von Onkel Schorsch.
Der wiederum würde die Lifestyle-Limo mit ihrem schicken Etikett jederzeit für einen seiner Kräutertees stehen lassen. Oder für seinen sämig-grünen „Kräuterkuss“ auf Chlorophyll-Basis. Was da drin ist? „Eingefangene Sonnenergie!“ Aber jetzt muss er wirklich weiter zu seinen Hühnern.
Wild!
Viele Wildpflanzen sind nicht nur gesund, sondern peppen Gerichte auch geschmacklich auf. Wir streiften mit einer Kräuterpädagogin durch den Perlacher Forst bei München