Moorlandschaften, Wasserfälle und Gipfel mit grandiosem Rundumblick. Die Bayerische Rhön ist eine echte Schau. Am Ende unserer entspannten Tour durch das nördliche Unterfranken geht es dann ins Stahlbad
Wandern in der Rhön: Vom Schwarzmoor zum Stahlbad
Wie prickelnd! Tausende von Blubberblasen tänzeln durch das Wasser und perlen über die Haut. Wohliges Kribbeln stellt sich ein, tiefe innere Ruhe macht sich breit. Es fühlt sich an, als läge ich in lauwarmem Champagner. Dabei bin ich gerade bis zum Hals in Heilwasser eingetaucht, aus der eisenhaltigsten Quelle Bayerns.
Es ist ein Stahlbad, durch das man gern geht, hier in Bad Bocklet, dem kleinen und charmanten Staatsbad. Von dessen Historie, seinem Wasser und dessen heilender Wirkung wird später noch die Rede sein.
Das bitzelnde Sprudelbad bildet den Ausklang von prächtigen Wandertagen in der Bayerischen Rhön. Diese 20 Minuten im Becken und die entspannte halbe Stunde im Ruheraum danach bieten eine gute Gelegenheit, um zurückzudenken an all die bemerkenswerten Eindrücke der vergangenen Tage, an Wander-Impressionen aus dem Land der offenen Fernen.
Beispielsweise gleich an den Auftakt im Schwarzen Moor. Es ist mit einer Fläche von 66 Hektar eines der größten und bedeutendsten Moore in Mitteleuropa. Wenn jemand hier Bescheid weiß über dieses imposante Geotop, das nach dem Ende der letzten Eiszeit vor ungefähr 12.000 Jahren entstand, dann der Diplom-Biologe Torsten Kirchner. Er ist Gebietsbetreuer im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön und führt uns durch dieses einzigartige Revier.
Mit dem Heli zur Bratwurst
Kirchner wuchs im Dreiländereck zu Hessen und Thüringen auf, und er kann viele alte Anekdoten erzählen. Etwa von den amerikanischen Militärhubschraubern, die ihn als Bub immer faszinierten, wenn sie knapp vor den Stacheldrahtzäunen des Eisernen Vorhangs umherschwirrten und damit die Patrouillen im Osten in Alarmbereitschaft versetzten.
Die US-Soldaten kamen mit ihren Helikoptern meistens einfach in der Mittagspause hierher – weil es an dem kleinen Bretterkiosk unmittelbar vor der Grenzlinie die beste Bratwurst der Gegend gab. Und natürlich auch, um die Seite gegenüber zu provozieren.
Wie viel in dieser großen Naturlandschaft mit der Geschichte zusammenhängt, sehen wir gleich zu Beginn beim Treffpunkt mit Torsten am Einstieg zum Moor: an einem alten steinernen Torbogen, dem Eingang zum Reichsarbeitslager, das in den 1930er-Jahren hier entstand.
Je weniger Wasser, umso mehr verliert das Moor auch seine Funktion als effektiver, klimaschützender CO2-Speicher
Torsten erzählt, dass das NS-Regime das Moor für den Aufbau landwirtschaftlicher Nutzflächen durch Drainagen trockenlegen wollte, um rund um neu angesiedelte Musterhöfe Kartoffeln und Getreide anzupflanzen. Für Bau- und Brennholz pflanzten sie Wälder aus Fichten, die hier noch nie gewachsen waren. Und sie begannen allen Ernstes mit der Zucht von Seidenraupen für die Produktion von Fallschirmen für die Luftwaffe. Für einen Fallschirm brauchte es die Seide von 16.000 Raupen.
Das Schwarze Moor hat sich seit 1945 von diesem Raubbau gut erholt. „Und doch“, sagt Torsten auf der Tour über den Holzbohlenweg, „sieht sich dieses sehr zerbrechliche Ökosystem auch heute großen Gefahren gegenüber. Gerade die immer häufigeren Hitze- und Trockenperioden setzen dem Moor kräftig zu.“
Je weniger Wasser, umso mehr verliert das Moor auch seine Funktion als effektiver, klimaschützender CO2-Speicher. Dazu droht eine zunehmende Verwaldung, noch mehr Bäume würden dem Moor zusätzlich Wasser entziehen.
Wie in einer prähistorischen Savanne
Noch ist das Schwarze Moor ein halbwegs intaktes Konstrukt: mit seiner sehr speziellen Geologie und einer schrägen Hanglage, die das vom Regenwasser gespeiste Hochmoor mit dem Niedermoor verbindet, das sein Wasser aus dem Boden zieht. An manchen Stellen des Rundwegs schweift der Blick über eine prähistorisch anmutende Savanne. Aber sieht man das Moor bald vor lauter Wald nicht mehr? Soll man nachhelfen und die Bäume entfernen? Wie stark soll der Mensch in die Natur eingreifen? Noch mehr, als es schon der Fall ist?
Man kommt mit Torsten leicht ins Philosophieren, wenn man vorbeigeht an den vielen bunten Pflanzen links und rechts des Bohlenwegs: Rundblättriger Sonnentau, Gewöhnliche Moosbeere, Sumpf-Blutauge und Roter Fingerhut. Zum Schluss des Rundwegs geht es noch achtzig Stufen hinauf auf den Aussichtsturm mit dem 360-Grad-Blick auf das Moor und darüber hinaus.
Auf Torsten wartet am steinernen Tor eine Urlaubergruppe, die nächste Führung durch das Schwarze Moor steht an. Auch diesen Gästen erzählt er von den Mooraugen, den Wassertümpeln am Rand des Geotops. Und von den Besonderheiten des Bodens mit seinem Wachstum von gerade mal einem Millimeter pro Jahr. Und wie man anhand des Moorprofils viele Jahrtausende in die Erdgeschichte zurückblicken kann. Wie Pollen in welcher Tiefe darauf schließen lassen, welche Pflanzen einst hier wuchsen. Und wann der Mensch was anpflanzte.
Offene Fernen und Basaltprismen
Wir ziehen weiter in Richtung Süden. Wir kreuzen die Hochrhönstraße, die sich als eine der schönsten Panorama-Routen des gesamten Freistaats auf einem Hochplateau 25 Kilometer von Bischofsheim nach Fladungen zieht. Sie gibt mit ihrer Aussicht bis zum fernen Horizont einen schlüssigen Grund dafür, warum man die Rhön auch das Land der offenen Fernen nennt.
Der Weg führt zu einem lieblichen Wasserfall, wo der kleine Aschelbach aus vier Metern Höhe über mächtige Basaltblöcke hinunterstolpert – und damit über jenes Gestein, das uns in der Region als stummer Zeuge des einst vulkanischen Untergrunds immer wieder begegnet.
So ruhig die Rhön erscheinen mag, so ordentlich war die Gegend vor vielen Millionen Jahren am Brodeln. An vielen Stellen erkaltete die Magma noch vor einem Ausbruch, blieb in den Vulkanschloten stecken und erstarrte zu Basalt.
Durch die Erosion des Bodens und die Abtragung von Sedimenten kamen die Säulen schließlich an die Oberfläche, mancherorts kippten sie dank Erhebungen des Untergrunds auch zur Seite. So wie auf unserer nächsten Station am Gangolfsberg, wo wabenförmige Stangen als Basaltprismenwand quer aus dem Hügel ragen.
Ein bisschen wirkt das so, als hätte der liebe Gott eine Runde Mikado gespielt und vergessen, danach aufzuräumen. Vom Schweinfurter Haus aus führt ein rund zweistündiger Naturlehrpfad um den Gangolfsberg und zu den Überresten einer Kapelle, die man einst dem heiligen Gangolf widmete, sowie zu einer keltischen Wallanlage, von der nicht mehr viel zu sehen ist. Der alte Basalt hat sich besser gehalten.
Stonehenge der Rhön und Schwabenhimmel
In ihrem weiteren Verlauf folgt unsere Wanderung dem Hochrhönweg, einem knapp 15 Kilometer langen Rundweg, der auch einen der zahlreichen Basaltseen passiert, die sich im Lauf der Jahre in aufgelassenen Steinbrüchen bildeten.
Dann geht es nach oben, hinauf in Richtung Heidelstein, zu einem der wunderbarsten Aussichtsberge der gesamten Bayerischen Rhön, der erstaunlicherweise auch den Namen Schwabenhimmel trägt... und dies am Rand von Unterfranken, Hessen und Thüringen!
Der Pfad passiert ein Kunstwerk, das früher vielen Ausflüglern Rätsel aufgab, wie uns ein entgegenkommender Wanderer erzählt. Ist die Steinskulptur mit einer Menschengruppe und einem kreisförmigen Gebilde über ihnen ein mysteriöses Monument aus grauer Vorzeit? Zeigt sie Ureinwohner beim Anbeten der Sonne oder einen Opferritus? Das Stonehenge der Rhön?
Vor 20 Jahren sorgte der Tourismusverband mit einer Stele für Klarheit, was das Denkmal von 1984 anlangt. Es verweist mit dem stilisierten Parabolspiegel auf die Verbindung zwischen Mensch und Technik. Passenderweise ragt direkt daneben ein Sendemast in den Himmel.
Die DDR lässt grüßen
Am Gipfel des Heidelstein bietet sich eine gute Gelegenheit für eine ausgiebige Rast samt Rundumschau, eine veritable Panorama-Brotzeit. Dann brechen wir wieder auf Richtung Norden. Unsere Tour führt nun entlang einer Etappe des Hochrhöners. Dieser Premiumweitwanderweg verläuft auf einer Strecke von fast 175 Kilometern von Bad Kissingen bis Bad Salzungen im Thüringer Wartburgkreis.
Die ehemalige Grenze ist das letzte Ziel auf unserem zweitägigen Rundweg. Dort begegnen wir wieder einem düsteren Kapitel deutscher Geschichte, gerade mal einen Kilometer vom Schwarzen Moor entfernt. Ein alter DDR-Wachturm und Reste der Grenzanlage mit den beiden Zäunen erinnern als Überbleibsel an die frühere Teilung des Landes. Man kann sich gut vorstellen, wie die Beobachter auf dem Turm in Aufregung verfielen, wenn die US-Soldaten „drüben“ auf eine Bratwurst landeten. Der verfallene Turm ist ein beklemmender Ort, den man gern wieder verlässt.
Schon im 18. Jahrhundert kamen Menschen wegen des Heilwassers nach Bad Bocklet
Unsere letzte Etappe führt nach Bad Bocklet, einem der fünf Kurorte und Heilbäder im Bäderland Bayerische Rhön. Aufgrund der stärkenden Wirkung des Heilwassers kamen bereits im 18. Jahrhundert die Menschen hierher, später wurde der Ort ein absoluter Society-Hotspot.
Das Who is who aus Adel, Politik und Gesellschaft fand sich ein, darunter 1844 auch Kronprinzessin Marie von Preußen. Mit Moorbädern und einer Trinkkur aus der Eisenquelle erhoffte sie sich nach einer Fehlgeburt wieder Kräftigung – und Unterstützung bei ihrem Kinderwunsch. 1845 wurde sie tatsächlich Mutter – von Ludwig II., dem späteren bayerischen „Märchenkönig“. Wer weiß, vielleicht wäre Bayerns Geschichte ohne Bad Bocklet eine ganz andere geworden ...
Detox im Stahlbad
Heute gilt die Balthasar-Neumann-Quelle als das eisenreichste Heilwasser im ganzen Land. Der hohe Gehalt an Kohlensäure lässt Muskeln entkrampfen und Poren öffnen. Das Herz- Kreislauf-System wird auch präventiv gestärkt, der Stoffwechsel wird angeregt, der Blutdruck reguliert, der Körper entgiftet. Gestähltes Detox.
Hartgesottene genehmigen sich im Kurpark, in der Wandelhalle oder im Brunnenpark auch einen Schluck als Trinkkur. Schmeckt, als würde man auf einen rostigen Nagel beißen, hilft aber als Immunstärker und zum Aktivieren der körpereigenen Selbstheilungskräfte – getreu dem Motto: A Stamperl Eisen a day keeps the doctor away.
Ob draußen beim Wandern in der freien Natur oder hier im Stahlwasser im Staatsbad – die Rhön ist überall ein Ort zum Entschleunigen, zum Runterfahren, zum Abbremsen. Und in Bad Bocklet darf man in jeder Hinsicht ins Eisen steigen.