Ein Streifzug durch Straubing und Umgebung. Donaufischerin Kathi Mayer zeigte uns, dass ihre ostbayerische Heimat, der Gäuboden, auch an nebligen Novembertagen wunderschön und mystisch verzaubert ist.
Herbsttour durch den Gäuboden
Kurz vor halb eins kommt plötzlich Bewegung ins Schilf. Graugänse steigen aus ihrem Versteck auf, erst sind es nur zwei, drei, dann ein paar Dutzend, schließlich erheben sich immer mehr aus ihren Verstecken. Gleichzeitig schwirren Gänse von überall heran, vom anderen Ufer der Donau und aus Osten weiter flussabwärts. Eine kakophonische Symphonie aus vielhundertfachem Geschnatter durchschneidet die Stille dieses kalten, nebligen Novembermitttags.
Ob sie jetzt fürs Überwintern nach Italien oder Spanien fliegen, bis nach Nordafrika oder nur nach Oberbayern, bei Graugänsen weiß man das nie so genau.
Kathi Mayer steht mit ihren Gummistiefeln bis zum Knöchel im Fluss. Über ihr flattern die dunklen Silhouetten vor einem grauen Himmel in die Ferne. „Mich hat‘s irgendwie nie weggezogen“, sagt sie auf einmal. „Ich wollt einfach nur dableiben.“ Hier in ihrer niederbayerischen Heimat rund um Straubing.
Neblig verwunschen und geheimnisvoll
Hier geblieben sind die Mayers schon die letzten 300 Jahre und wahrscheinlich noch viel länger. In der jetzt 14. Generation führt die Kathi mit ihrem Bruder Michi die Familienfischerei.
Der Fluss war schon immer ein großer Teil in ihrem Leben, nicht nur weil sie schon als kleines Kind von früh auf mit ihrem Vater rausfuhr, auf diesen Seitenarm der Donau, für den sie seit Jahrhunderten die Fischereirechte haben. Ein Altwasser, aus dem sie damals wie heute Nasen, Barben und Brachsen herausziehen ... und an guten Tagen auch edlere Fische wie Waller, Zander, Hecht.
„Mich hat‘s irgendwie nie von hier weggezogen“
Der Fluss hatte für Kathi fernab des Fischens auch immer etwas Faszinierendes und Zauberhaftes. „Gerade an solchen ungemütlich nebligen Tagen“, sagt sie, „da wirkt die Donau so verwunschen und geheimnisvoll.“ Oben auf dem Damm radelt dick eingepackt ein Paar vorbei, auf dem Donauradweg nach Westen, bis Regensburg sind es noch 40 Kilometer.
In die Gegenrichtung pflügt ein flaches Frachtschiff Richtung Osten durch den Fluss. Die Donau ist noch ziemlich am Anfang ihrer weiten Reise. Bis zur Mündung ins Schwarze Meer sind es noch über 2.300 Kilometer. Und doch fließt sie schon hier als unaufgeregt erhabener Strom dahin, souverän und sehr entspannt. Irgendwo kräht ein Kormoran. Überall pfeift der Wind.
„Die Fischerei is nix für a Madl.“
Doch, ist sie schon!
Dass sie erst gar nicht Fischerin werden wollte, erzählt Kathi Mayer auf dem Spaziergang in Richtung der Öberauer Donauschleife, einem fast 300 Hektar großen Naturschutzgebiet. Es war ihr Vater, der immer sagte: „Die Fischerei is nix für a Madl wia di.“ Das Fischen, das war von jeher eine Männerdomäne. Bei den Mayers und überhaupt.
Die Kathi arbeitete daher auch erst als Zahnarzthelferin in einer Straubinger Praxis. Aber dann wurde ihr Vater vor fünf Jahren schwer krank, es ging alles ganz schnell, und weil sie ihren Bruder nicht im Stich lassen wollte, packte sie mit an. Wenige Minuten, nachdem sie voller Begeisterung ihren allerersten Zander fing, kam der Anruf, ihr Vater liege im Sterben.
Die Kathi eilte damals in die Klinik und erzählte ihm noch kurz vor seinem Tod von ihrem Fang. „Auch wenn er nicht mehr reagierte“, sagt sie, „ich bin mir sicher, dass er das alles auch noch mitgekriegt hat.“
Sicher war sie sich damals auch, dass es gar keine andere Wahl gab, als nun auf die Fischerei umzusatteln. Zur Unterstützung ihres Bruders, aber auch im Sinne ihres Vaters. Weil es ihn doch stolz gemacht hätte, sagt die Kathi.
Bei Öberau drehte die Donau einst in ihrem alten Flussbett eine fast herzförmige Schleife. Der sechs Kilometer lange Seitenarm wird seit dem Bau des abkürzenden Direttissima-Durchstichs vor bald 40 Jahren nicht mehr befahren und bildet mit seiner wild-urigen Altwasser-Auenlandschaft als Rast- und Brutplatz einen ungestörten Rückzugsraum für Land- und Wasservögel.
Bogenberg: Der heilige Berg der Region
Ein ganz besonderer Rückzugsort für die Kathi war immer schon der Bogenberg weiter flussabwärts jenseits von Straubing. Der „Heilige Berg Niederbayerns“, wie er auch genannt wird, bildet als erhabener Wächter das Tor zum Bayerischen Wald.
Die 75 Kilometer lange Kerzenwallfahrt von Holzkirchen im Landkreis Passau bis hierher zur imposanten, im 15. Jahrhundert erbauten Kirche Mariä Himmelfahrt findet alljährlich an Pfingsten statt und verläuft auf einer der bedeutendsten Pilgerrouten im Freistaat.
Der Innenraum der Kirche erlebte im Lauf der Jahrhunderte ein buntes Sammelsurium an Ausschmückungen in den unterschiedlichsten Stilrichtungen, vom Barock über Rokoko bis zur Regotisierung. „Auch wenn ich nie die große Kirchgängerin war, die jeden Sonntag pünktlich um zehn zur Messe ging“, sagt Kathi Mayer, „hier habe ich immer innere Ruhe gefunden.“
„Hier habe ich immer innere Ruhe gefunden“
Ein wundervolles, inzwischen sehr seltenes Kleinod findet sich im Seitenschiff. Eine kleine quadratische Vitrine mit einer Kapelle im Innern. Es ist einer dieser Glaskästen, wie sie ab den 1950er-Jahren in so vielen bayerischen Kirchen standen.
Man musste nur fünf Pfennig einwerfen, schon fingen im Innern die Glocken an zu bimmeln. Am Brünnlein links plätscherte das Wasser und aus der geöffneten Kapellentür fuhr auf einer Schiene ein Engerl heraus und schlug drei Kreuzzeichen.
Mit den Jahrzehnten verschwanden die Kästen aus den Kirchen, heute gibt es nur noch eine Handvoll davon – im Alten Peter in München etwa, in St. Anton in Partenkirchen. Und eben auch in Mariä Himmelfahrt auf dem Bogenberg. Natürlich hat die Inflation auch hier ihre Spuren hinterlassen: Heute gibt’s den Segen für ein Zehnerl.
Watzmann? Wendelstein? Heute ziemlich aussichtslos
Völlig kostenlos ist das beeindruckende Panorama von den Aussichtspunkten auf der Südseite des Berges. Wenn man denn etwas sieht. Bis wohin der Blick reichen könnte, verraten die Schautafeln mit den Richtungsweisern. Watzmann, Zwiesel, Wendelstein. An diesem Tag erkennen wir immerhin die andere Uferseite der Donau. Hat aber auch was. Ein Nebeltag wie aus dem Bilderbuch. Sonne kann ja jeder.
Mit Kathi schlendern wir noch entlang des Naturlehrpfads, auf dem wir viel über die Geologie und die unterschiedlichen Gesteinsschichten erfahren, über die ersten Besiedlungen in der Bronzezeit, und dass die Einheimischen den Hügel bis zum 13. Jahrhundert „Grintel“ nannten. Weil Grintel damals Berg hieß. Macht Sinn.
Mystisch wirkt der Bogenberg, geheimnisvoll und rätselhaft, man kann sich gut vorstellen, dass die Gegend genau der richtige Ort für den Mühlhiasl war, den legendären Weissager und Waldpropheten Matthias Lang, dessen Prophezeiungen aus dem 18. Jahrhundert heute mitunter sehr aktuell wirken. Immerhin machte er Aussagen wie: Der Wald wird so licht werden wie des Bettelmanns Rock. Wenn man Sommer und Winter nicht mehr unterscheiden kann ... Wenn ein großer Fisch über den Wald fliegt ...
Am Salzstadel: Einst Lager, heute In-Treff
Es ist halb fünf, das Wolkengrau changiert allmählich in die Farblosigkeit, das Licht dimmt sich langsam runter. Zeit, um den Tag in der Stadt ausklingen zu lassen. Zeit für Straubing. Kathi führt uns zum Adler-Denkmal, direkt neben dem Salzstadel am Donau-Ufer, wo früher die Salzhändler anlegten, wenn sie auf Inn und Donau ihre damals so wertvolle Fracht anlieferten und es hier in der großen Lagerstätte deponierten.
Heute sind es Einheimische wie Kathi, die hier am Fluss haltmachen und den Ort vor allem an Sommerabenden auf den stufigen Terrassen zu einem stimmungsvollen Treffpunkt werden lassen. Da können die lauen Nächte nicht lang genug sein ...
Zum Geiss: Wo Merkel einst ihr Reindlgmias bekam
An diesem Abend freut man sich nach dem langen Tag draußen auf Wärme in einem Wirtshaus. Zum Beispiel in der „Goaß“ am westlichen Ende des Stadtplatzes, Straubings Zentrum mit vielen kleinen Läden, Gasthäusern und Cafés.
„Die Goaß“, wie viele Straubinger die Einkehr nennen, hat ursprünglich nichts mit Ziegen zu tun, offiziell heißt das Lokal „Zum Geiss“, benannt nach dem Hutmacher und früheren Hausbesitzer Josef Geiss.
Ob die oder der Geiss, egal, in jedem Fall ist das Wirtshaus Straubings älteste Gaststätte. Das Haus stammt aus dem Jahr 1462 und ist damit noch älter als die Wallfahrtskirche am Bogenberg. Mit deren Bau begann man erst ein Jahr später.
Der oder die „Geiss?“ Egal! Auf jeden Fall Straubings ältestes Gasthaus
Über viele Jahrhunderte muss der Laden eine veritable Boazn gewesen sein, ein Schauplatz zünftiger Wirtshausschlägereien. Später putzte sich die „Goaß“ fein raus, im Rahmen eines gemeinsamen deutsch-französischen Ministerrats in der Stadt kehrten 2008 sogar Angela Merkel und Nicolas Sarkozy ein – für Tafelspitzsülzchen, Reindlgmias und Himbeer-Mille-feuille.
Heute führt Kathi Mayers gute Freundin Michaela Stöberl das Lokal mit einer gelungenen Mischung aus urig-traditionell und ziemlich anders. Einfach, frisch und jung. Auf den Tisch kommt eine neu interpretierte bayerische Küche.
Auch weil Michaela als ausgebildete Bier-Sommelière noch einige der gelagerten Biersorten zur Verkostung aus dem Keller holt, wird es am Ecktisch ihrer Gaststube ein wunderbarer, langer Abend nach einem sehr kalten, aber letztlich erwärmenden Tag. Ein Tag, an dem man so viel erfahren hat, von der Kathi, ihrem Leben, ihrer Geschichte, ihrem Niederbayern. Ein Tag, an dem nur eine Frage offen bleibt: Wo die Gänse vom Mittag jetzt wohl sind?