Rokoko-Opulenz in bayerisch-schwäbischer Bilderbuchlandschaft: Kloster Roggenburg nahe Ulm ist ein tolles Reiseziel. Auch über Nacht. Manche bleiben sogar ein ganzes Leben
Kloster Roggenburg
Anzeige | Der aufgeschreckte Marder, der an diesem warmen Sommerabend am Dorfausgang von Roggenburg über die enge Straße stürmt, ist Autoverkehr um diese Uhrzeit anscheinend nicht mehr gewohnt. Über den Doppeltürmen der Klosterkirche jagen die Rauchschwalben ihrem Dinner hinterher und begleiten mit aufgeregten Pfiffen das Konzert der Grillen.
Der Besucherparkplatz ist längst leer, als die Sonne den Himmel über dem Roggenburger Weiher und die mächtige Klosteranlage in ein leuchtendes Orange taucht.
Komfortzimmer statt Klosterzelle
Zu hören ist in dieser Landidylle wenig später nur noch das Plätschern des Brunnens im Klostergarten. Ideal, um seine eigene Mitte zu finden. Zumindest aber die des Efeulabyrinths, das aus 300 Sorten des Klettergewächses besteht. Dort lädt eine einsame Bank zum Runterkommen ein. Augen zu und durchatmen.
Die anschließende Schnuppertour durch den Kräutergarten sorgt für die nötige Bettschwere. Die nächtliche Stille von Roggenburg genießt man in den modernen Gästezimmern des klostereigenen Hotels.
Ein schönes Fleckchen hatte sich Graf Bibereck da ausgewählt, als er 1126 das Kloster für die Prämonstrantenser stiftete, einen katholischen Orden, der statt aus Mönchen aus geweihten Priestern besteht. Erst 700 Jahre später bereitete die Säkularisierung der Roggenburger Klostertradition ein vorläufiges Ende. In der Folge diente die Anlage als Landgericht und Gefängnis, als Haushaltungsschule und Zuflucht für Heimatvertriebene. Erst in den Achtzigerjahren kehrten Patres der Prämonstratenser zurück.
Etwas später kam Pater Ulrich O. Praem dazu, heute leitender Pfarrer in Roggenburg. Seine Biographie ist mindestens so wechselvoll wie die seines Klosters. Vom Bundeswehrsoldat zum Zivi, dann Student der Theologie, vom Kirchenaustritt zum Klostereintritt, das ist des Paters Vita in aller Kürze.
Vor allem wichtig: Er ist angekommen. Was in Roggenburg überhaupt nicht schwer falle: „Zum einen sind hier unglaublich schöne Gebäude, die von einer langen und großen Kultur zeugen. Es macht mich gleichzeitig stolz und demütig, hier leben zu dürfen."
Und dann ist Roggenburg ja in diese bezaubernde Landschaft eingebettet. „Hügel, Wiesen und Wälder, ein See, in dem sich der blaue Himmel spiegelt. Eine absolute Postkartenidylle“, schwärmt der Pater, der bei seiner Führung durchs Kloster gern sein Lieblingsgemälde zeigt. Das monumentale Werk im Kaptitelsaal, das vor etwa 250 Jahren entstand, präsentiert die damaligen Patres von Roggenburg gemeinsam in andächtiger Versammlung. So realistisch gemalt, als stiegen sie jeden Moment aus der Leinwand.
„Schon toll. Wenn wir bei unsren Gottesdiensten hier sind, schauen uns die Mitbrüder an, die vor so langer Zeit hier gelebt, gebetet, gefeiert haben. Es sind ganz konkrete Personen, nicht irgendwer. Jeder hat seine Geschichte mit Hoffnungen und Enttäuschungen. Die haben damals viel geleistet, als sie entschieden haben, das ursprünglich romanische, dann gotisierte und später noch barockisierte Kloster im Stil des späten Rokoko völlig neu aufzubauen.“ Von ihnen könne man auch viel lernen, so Pater Ulrich. „Geduld und den nötigen Pioniergeist, der nicht nur auf den Eigennutz, sondern altruistisch auf zukünftigen Nutzen schaut.“
Kulturprogramm: Ganz mit der Ruhe oder mit 4.000 Pfeifen
Die Sanierung seit der jüngeren Ära des Verfalls ist gelungen. Das Kloster wirkt heute wie aus dem barocken Ei gepellt. Mittelpunkt der Anlage ist die Roggenburger Pfarr- und Klosterkirche Mariä Himmelfahrt, eine der bedeutendsten Bauten des Rokoko in Schwaben.
Sie wurde zu der Zeit erbaut, als genau jene Patres vom Gemälde durch Kreuzgang und Gärten schlappten. Über den Turmkapellen erheben sich die zwei 70 Meter hohen Türme mit sieben Glocken, die älteste davon 500 Jahre alt. Die perfekten Stuckaturen stammen, so nimmt man an, wohl von Wessobrunner Meistern. Die Fresken malte Franz Martin Kuen. Der ganze Stolz des Klosters aber ist die „große Roggenburgerin“, die Hauptorgel der Kirche, mit ihren 66 Registern und 4.000 Pfeifen.