Im Altmühltal engagiert sich Luise Naderer für den Erhalt alter Streuobstwiesen. Die Gartenbäuerin pflegt etwa 500 Bäume zum Teil uralter Sorten. Der Lohn sind köstliche Vitaminbomben
Die Luisengärten von Streuobstbäuerin Luise Naderer
Der Obstschatz von Riedenburg wird streng bewacht: Pinscher Richie und das Gänsepaar Willy und Lilly kündigen in den „Luisengärten“ kläffend und schnatternd den Besuch an. Hühner laufen zwischen den knorrigen Apfelbäumen umher, Kamerunschaf Ninja scheucht blökend seinen Harem über die Wiese. Die Ruhe weg haben an diesem Spätwintermorgen nur die steinernen Buddhas im Gras.
Vor allem bei Luise Naderer ist die To-do-Liste noch lang. Die zarten Wurzeln der Baumstecklinge, die sie aus alten Apfelraritäten gezogen hat, müssten noch in die Erde, ein paar der Baumsenioren im Garten brauchen ihren Formschnitt und der Brennkessel noch die richtige Temperatur.
Edle, sortenreine Biobrände sollen spätestens am Nachmittag in die Flaschen unter dem Kupferkessel tropfen. Aber vorher macht sich Apfelexpertin Luise noch Gedanken über die Schatzkiste: ein Kunststoffkorb, darin Äpfel und Äpfelchen, die mit Pusteln und Flecken keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, aber doch ein großes Geheimnis bergen. Um welche Sorten könnte es sich handeln?
Detektivarbeit im Obst-Dickicht
„Also, bei denen bin ich echt ratlos!“ Auch die versierteste Obstexpertin kann nicht alles wissen, denn: Über 2.000 Apfelsorten gibt es in Deutschland – wobei meist nur eine Handvoll davon normiert in den Supermärkten liegen. Viele der historischen Sorten sind dagegen sehr selten geworden, fristen ihr Dasein auf längst vergessenen Streuobstwiesen. Doch dann kam Luise!
Streuobstrettung ist immer wieder auch spannende Detektivarbeit
Im weiten Umkreis von Riedenburg hat sie in den vergangenen Jahren buchstäblich Licht in so manches Obstdickicht gebracht. Doch immer wieder liegen im hohen Gras versteckt, manchmal eher klein von Wuchs, noch große Rätsel.
Der Inhalt der Kiste, das steht fest, ist ein Fall fürs Schwarmwissen beim Pomologen-Verein, der sich unter anderem der Obstkunde verschrieben hat. „Haben auch die keine sachdienlichen Hinweise, bleibt nur noch die Gen-Analyse!“ Streuobstrettung ist schweißtreibend, immer wieder aber auch spannende Detektivarbeit.
Märchenhafte „Luisengärten“
Das kleine Wohnhaus mit Obstwiese ist das Zentrum der „Luisengärten“ für die gebürtige Hallertauerin Luise Naderer und Ehefrau Kerstin. Das Areal ist Heimat und Herzkammer für das Lebensprojekt. Ein geradezu märchenhafter Ort, wo 2007 alles begann. Eng windet sich die Straße vom mittelalterlichen Zentrum Riedenburgs am Fuß der schneeweißen Rosenburg durch ein grünes Tal hinauf.
Bei einem Spaziergang entdeckte Luise dort oben die zugewachsene Parzelle, eine Streuobstwiese mit altem Bienenhaus. Die gelernte Maschinenbautechnikerin arbeitete damals schon eine Zeit lang in der Gartenpflege, war schockverliebt und wusste: „Daraus lässt sich doch was machen!“
Sie pachtete das Grundstück, verpasste dem guten Dutzend über 70 Jahre alten Apfelbäumen den ersten Trimmschnitt seit Langem, schaffte sich Tiere an und machte das komfortable, ehemalige Insektenhotel zu ihrem heimeligen Zuhause, wo heute über dem Kaminofen die Kräuter trocknen.
Vitaminbomben aus den Dorfgärten
Bald schon kam das nächste Projekt, eine ehemalige Dorfallmende bei Pondorf, die sie von der Gemeinde pachtete. Lange vor dem Obst erntete sie dabei erst einmal ungläubige Blicke.
„Bei dem Gestrüpp müsstest du fürs Pachten eigentlich noch Geld bekommen“, habe der zuständige Sachbearbeiter zu ihr gesagt. Es gab eine Zeit, da waren Obstbäume weitaus mehr geschätzt.
„Allmende“ ist der alte Name für Landparzellen in Gemeinbesitz. Bei Obstwiesen wurden dabei früher jedes Jahr einzelne Bäume versteigert und damit das Recht, ihre Äpfel zu ernten. Vor allem die lagerfähigen Äpfel waren auch im Altmühltal ein wichtiger Beitrag, um satt und gesund durch den Winter zu kommen.
In Zeiten von Supermarkt-Obst interessierte sich lange Zeit kaum jemand noch für die Dorfgärten. Dabei gibt es in ihnen viel zu entdecken. „Schlangen, Eidechsen, eine irre Vogelvielfalt – Streuobstwiesen gehören zu den wertvollsten Biotopen“, weiß Luise, auch aufgrund von vielen Begegnungen. Vor allem aber warten hier köstliche Vitaminbomben auf ihre Wiederentdeckung. Einige der alten Apfelsorten sind heute echte Raritäten.
Vom Dschungelcamp zum Obstgarten
„Der Geflammte Kardinal beispielsweise. Von dieser historischen Sorte aus dem 18. Jahrhundert ist mir bis heute nur ein Baum hier auf der Parzelle in Pondorf bekannt. Der Apfel ist süß beim Reinbeißen, wird dann säuerlich im Mund und, schau mal, beim Schütteln klappern sogar die Kerne.“
Bis zu drei Jahre dauert es, um die vergessene Streuobstwiese zu entbuschen und allmählich aus dem Dornröschenschlaf zu wecken – vom Dschungelcamp zur alten Pracht! Was romantisch klingt, aber jede Menge Arbeit ist. Obendrein haben die „Luisengärten“ sich in den Jahren ordentlich vergrößert. Mittlerweile betreut Luise auf acht Hektar an die 500 Bäume, neben Äpfeln auch Pflaumen, Quitten, Mirabellen, Mispeln und Birnen.
Kaiser Wilhelm zum Vernaschen
Luises Engagement hat sich herumgesprochen und wird hoch geschätzt. Und so wie geliebte Haustiere, um die sie sich nicht mehr kümmern können, tragen ältere Besitzer ihre Bäume zu Luise, wohl wissend, dass sie in gute Pflege kommen. Apropos: Die Arbeit hört mit der Ernte nicht auf. Regelmäßiger Schnitt ist nötig, damit die raren Früchtchen guten Ertrag bringen, ob Rheinischer Bohnapfel, Gravensteiner oder der pralle Kaiser Wilhelm, der mit seinem weinsäuerlichen Aroma auffällt.
Im Gegensatz zur Supermarktware können Apfel-Allergiker die alten Sorten gut vertragen
Die süßsauren Kostbarkeiten schmecken nicht nur gut beim Vernaschen, sondern auch als Saft. Denn die Geschmacksvielfalt vom Baum übertrifft die von Wein um ein Vielfaches. Im Lagerraum der „Luisengärten“ stapeln sich die praktischen Drei-Liter-Boxen. „Mittlerweile sind es zwanzig verschiedene, sortenreine Bio-Apfeldirektsäfte, allesamt aus historischen Apfelsorten“, erzählt Luise stolz.
Beim Thema Apfel kommt sie regelmäßig ins Schwärmen und kann die Liebe zum historischen Obst sogar wissenschaftlich untermauern. Die alten Sorten enthalten bis zu fünf Mal mehr Polyphenole, sekundäre Pflanzenstoffe, die antioxidantisch wirken.“ Vermeintliche Apfel-Allergiker hat sie schon kraftvoll zubeißen lassen beim Sortiment. „Im Gegensatz zur Supermarktware haben sie die alten Sorten gut vertragen.“
Hinzu kommt: In den „Luisengärten“ wird weder gespritzt noch gedüngt. „Bäume und Früchte bilden dadurch ihr ganz natürliches Immunsystem aus“, erklärt Luise. Das zahlt sich auch bei den Bränden aus. Das unverfälschte Aroma der alten Sorten bringe Fans von Hochprozentigem regelmäßig aus der Fassung und das nicht aufgrund der Umdrehungen.
Kulturerbe Streuobst
Biobäuerin, Gärtnerin, Landschafts- und Umweltschützerin – überall hat sie sich reingefuchst und fortgebildet. Inzwischen hat Luise viele Berufe. Wenn es nach ihr geht, soll in Zukunft auch der Job Teilzeit-Lehrerin dazukommen. Schulklassen aus der Umgebung haben die „Luisengärten“ schon öfter besucht.
Die Kids waren vor allem begeistert von Ninja und seiner Schaffamilie, von den Gänsen und Hühnern, „aber der Apfelsaft hat auch allen geschmeckt“. Und der Garten vermittelt eine wichtige Botschaft, auch den Jüngsten: „Die Artenvielfalt der Äpfel ist ein wertvolles Erbe, diesen Teil der Kulturlandschaft müssen wir auf jeden Fall erhalten und die alten Obstsorten wieder schätzen lernen.“
Damit diese nicht nur Nischen bleiben, sondern auch wieder eine Zukunft haben, ist Vermehrung ein wichtiger Bestandteil der Arbeit. Manchmal aus Samen, meist aber durch Stecklinge und Veredlung. So kann die nächste Generation der historischen Kostbarkeiten entstehen.
Obstleidenschaft und guter Geist
Auch auf Wochenmärkten und Messen wird diese Botschaft verbreitet und werden Bäumchen, Obst, die Brände und Essige, Marmeladen und Säfte verkauft. Natürlich auch ab Hof. Die Suche nach der nächsten fruchtigen Offenbarung, dem Einzelbaum mit der längst vergessen geglaubten Sorte, geht derweil immer weiter, wobei Luise und Kerstin auch jetzt schon manchmal nicht mehr wissen, wie sie all die Arbeit schaffen sollen.
Doch vorher rinnt an diesem Nachmittag noch der wortwörtlich gute Geist der „Luisengärten“ in die Flaschen. Der Lagerraum ist gewärmt vom Feuer unterm Brennkessel. Auf dem bunten Plüschsofa davor haben es sich Hund Richie und Kerstin gemütlich gemacht und verfolgen andächtig den Brennvorgang.
Es duftet nach würzigem Rauch und Wölkchen aus fruchtigem Apfelaroma. Das erste Schlückchen wärmt noch mehr und ruft, am Ende des Winters, blumig-fruchtig Assoziationen an einen sommerlichen Obstgarten im Kopf hervor. Gleich ist dann auch mal Feierabend!