Ganz klar, hier geht es das ganze Jahr nur um eines: Weihnachten. Das einzige Museum seiner Art in Deutschland zeigt, wie sich die Weihnachtsdekoration über die Jahre entwickelt hat. Text und Fotos: Angelika Jakob
Deutsches Weihnachtsmuseum
Das Abendlicht lässt Türmchen und Stadtmauer des mittelalterlichen Rothenburg ob der Tauber rötlich leuchten. Fachwerkhäuser und Buckelpflaster sehen aus wie von Spitzweg gemalt. Wohin sonst passt das Wohlfahrt’sche Erlebniskaufhaus mit seiner Dauerweihnacht besser als in dieses biedermeierliche Idyll?
Das ganze Jahr über erklingt bei Käthe Wohlfahrt wohlige Zithermusik, 30.000 festliche Artikel säuseln „Kauf mich!“. Nikoläuse, Kugeln in allen Formen, Deckchen, Spieldosen. Hach, einfach alles gibt es hier, was man sich an Weihnachtsdeko nicht einmal im schönsten Glühweinrausch vorstellen könnte.
Oh weh, Tannenbaum!
Internationale Besucher schlendern durch ein Labyrinth von Gassen mit Fachwerkbuden, vorbei an Engeln und Wichteln. Ein Heer von Nussknackern bleckt die Zähne. Der Schnee auf den Dächern der Buden schmilzt nie. Selbst extrem shoppingabgehärtete Golfaraber, Asiaten und Amerikaner auf Good-Old-Europe-Tour verfallen vor Begeisterung in Schnappatmung, wenn sie durch das weihnachtliche Konsumlabyrinth schlendern.
Als Höhepunkt dreht sich im Zentrum ein turmhoher, weißer Weihnachtsbaum, der mit knapp 2000 Kugeln, Glitzersachen und 12.500 LED-Lämpchen geschmückt ist. Ein absoluter Selfie-Hotspot.
„Als ich sechzehn war, eröffneten meine Eltern ihr erstes Weihnachtsgeschäft“, sagt Harald Wohlfahrt, heute 67 und beratender Senior im Unternehmen. „Bei uns ging es das ganze Jahr über um Nikoläuse, Engel und Glaskugeln. Niemand außer meinen Eltern kam auf die Idee, diese Artikel dauerhaft anzubieten, das war genial. Sie waren immer auf der Suche nach Neuheiten.“
Bei uns ging es das ganze Jahr über um Nikoläuse, Engel und Glaskugeln
Die stille Nacht, die niemals endet
Der freundliche Herr Wohlfahrt im Janker und mit korrekt gestutztem, weißem Bart sitzt in einem Zimmerchen im ersten Stock des Kaufhauses. Durch die grünen Butzenscheiben der Fenster sieht er auf die schneebedeckten Buden und den Baum im überdachten Innenhof hinunter.
Auf einem alten grünen Kachelofen stehen Holzfigürchen und eine Pyramide aus dem Erzgebirge, die Tischdecke ist mit goldenen Tannenzweigen bestickt. Leise dringt „Jingle Bells“ in den schummrigen Raum, alles fühlt sich an wie die längste Nacht des Jahres – während die Leute draußen bei herrlichstem Sonnenschein Eis schlecken.
„Ich wollte immer schon ein kleines Museum einrichten mit den wunderbaren Dingen, die die Menschen sich für das Weihnachtsfest einfallen ließen“, sagt er und lächelt zufrieden. „Am 29. September 2000 eröffnete ich das erste und einzige deutsche Weihnachtsmuseum. Ein 1,25 Meter großer Nikolaus mit Rute war meine erste Eroberung für das Museum“, erinnert er sich, „ich habe ihn in der Auslage eines Kramerladens entdeckt. Den Besitzer musste ich sehr bitten, ihn mir zu verkaufen.“
Upside down
In großen Glasvitrinen stehen im Stil vergangener Jahrzehnte geschmückte Christbäume, ein kleines Bäumchen hängt mit der Spitze nach unten. „Bevor man ganze Bäume in die Stube stellte, dekorierte man die Wohnung mit einzelnen Zweigen. Irgendwann kam jemand auf die Idee, das Ganze zu toppen, und hängte ein ganzes Bäumchen von der Decke. Vereinzelt findet man in Osteuropa diese etwas verrückte Idee noch“, erklärt Wohlfahrt den ungewöhnlichen Anblick.
Geschichte des Weihnachtsbaums
Fichten und Tannen stellte man vereinzelt schon im Mittelalter auf, um die Wintersonnwende zu feiern. Den Schmuck durften die Kinder aufessen: Äpfel, Nüsse, Zuckerzeug und sogar Würste hingen an den Zweigen. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts verbreitete sich im deutschsprachigen Raum der Brauch, geschmückte Bäumchen in die Stuben zu stellen. Nach und nach eroberte diese Tradition die ganze Welt.
Das Weihnachtsfest wandelte sich vom Ereignis mit rein kirchlichem Bezug zum Familienfest mit Bescherung, ein prächtig dekorierter Baum diente zunächst in bürgerlichen und aristokratischen Kreisen als Statussymbol. Heimwerker, Glasbläser und Holzschnitzer produzierten für das Weihnachtsfest fantasievollen Schmuck, Kinder bastelten Strohsterne, Väter griffen zur Laubsäge, Mütter vergoldeten Kiefernzapfen.
Weihnachts-Schmuck spiegelt die Zeitgeschichte wider
Dekoration unter allen Umständen
„In den Objekten spiegelt sich Zeitgeschichte. Selbstverständlich unterliegen auch Adventskalender und Nussknacker Moden“, sagt Harald Wohlfahrt. „Ebenso Räuchermännlein, Nikoläuse, Santas, Christbaumständer, Glasschmuck in allen Formen, Zinnfiguren, Rentierschlitten ...“ Nicht einmal in schweren Zeiten verzichteten die Menschen auf ihren Baum. Die Dekoration wurde dann eben bescheidener, man improvisierte.
Vor einem Musterkoffer mit Glaskugeln bleibt der Museumsmacher stehen: „Diese Kugeln sind aus Lauscha in Thüringen, der Wiege des Glasschmucks, produziert um 1900. Viele Kilogramm wogen solche Musterkoffer, die die Frauen der Glasbläser auf dem 15 Kilometer langen Glasbläserpfad zu den Händlern nach Sonneberg tragen mussten. Auch als es endlich eine Zugverbindung gab, schleppten sie die schweren Koffer. Die Fahrkarte wäre zu teuer gewesen.“
Glaskunst und Schnitzereien
Zunächst konnten die Glaskünstler aus Lauscha nur dickwandige, schlichte Glaskugeln blasen. Mit der Zeit verfeinerten sie ihre Technik. Inzwischen verlassen die filigransten Gebilde ihre Werkstätten: schillernde Vögel mit Schwänzchen aus Glasfasern, alle Arten von Figuren, Tieren, Blumen, Gegenständen. Der Tradition verbunden blieben die Holzschnitzer aus dem Erzgebirge: Ihre Schwippbögen, Zwerge und Weihnachtspyramiden brauchen keine Modernisierung.
Alles von Pappe, Dresdner Pappe
Zu den ältesten Ausstellungsstücken gehört Christbaumschmuck aus Papier und Karton. Besonders wertvoll und bei Sammlern begehrt sind dreidimensionale und mit Glimmer oder Goldfolie kaschierte Figuren, genannt Dresdner Pappe, die ab etwa 1875 an Christbäume gehängt wurden.
Aus Watte fertigten Heimarbeiter damals Schlittenkinder, Mädchen mit Muff und andere Wintermotive. Tiere, Obst, Pilze und Gemüse aus gepresster und bemalter Watte waren sogar bis in die 1970er-Jahre beliebt. Eigentlich landete jedes Material, das sich formen ließ, irgendwann als Schmuck am Baum, zum Beispiel Zinn, Zuckermasse, Rauschgold, Holz, Keramik.
Schöne Erinnerungen
Christbaumdekoration war wertvoll und wurde von Generation zu Generation vererbt. Heute wechseln die Moden schnell, in einem Jahr steht der Baum ganz in Gold da, im nächsten hängen gläserne Musikinstrumente, Tiere oder Blumen an den Zweigen.
Aber eigentlich lieben die Kinder alte Sachen, an die sie schöne Erinnerungen knüpfen. Als Erwachsene freuen sie sich, in Harald Wohlfahrts Museum einen Engel oder einen Nussknacker zu entdecken, wie sie ihre Großeltern noch besaßen.