Wenn die Ascholdinger einmal in zehn Jahren ihre Bettelhochzeit feiern, machen sie alles verkehrt. Und lassen es gehörig krachen. Wir waren dabei
Bettelhochzeit in Ascholding
Wenn der Vatikan wüsste, wie das oberbayerische Dorf Ascholding das Sakrament der Ehe feiert ... Der langhaarige Pfarrer trägt ein Drei-Liter-Weißbierglas wie das Allerheiligste vor sich her.
Begleitet von einer Bande braun gelockter Ministranten erklimmt er zu grässlich schrägem Gesang eine provisorische Treppe auf einen mannshohen Misthaufen. Weihrauchschwaden steigen aus einem blechernen Bierfass auf.
Im Schlepptau: ein Gebirge von einer Braut und deren mickrigen Bräutigam. Zankend und fluchend stellen sich die schrägen Vögel auf. Der Messdiener schwingt eine Klobürste und segnet die Gemeinde mit Bier aus einer Milchkanne.
„Griass eich, i derf eich recht herzlich begrüßen aufm Misthaufen“
Dann schreit der Geistliche, gespielt von Benedikt Harrer, Ingenieur für Heizungstechnik und im Vorstand des Burschenvereins: „Mir san römisch- katholisch, da gibt’s auch im Jahr 2023 keine weiblichen Pfarrer, sondern nur Männer!“ Er und die Ministranten reißen sich die Perücken vom Kopf, Tonsuren kommen zum Vorschein.
„Griass eich, i derf eich recht herzlich begrüßen aufm Misthaufen“, ruft Hochwürden der Gemeinde voll Ehrfurcht zu. Die Einwohner von Ascholding und auch ein paar neugierige Auswärtige applaudieren.
Eheschließung auf Mist und Stroh
„Wir sind hier auf dem Misthaufen bei Ali Babas Räuberhöhle zusammengekommen, um die unstandesgemäße Verehelichung des hochgeächteten Jünglings Franziskus Barbossa, Freiherr von Nusseckistan, und des sehr gescherten Fräuleins Mathilde Sogleimschnupferin, Komtess von Kistenau, Besitzerin des Reissbergwerks, zu zelebrieren“, verkündet der Pfarrer.
Ein Wirtshaustisch mit Spitzendecke und Kerzen dient als Altar. Neben dem schiefen Kirchturm aus Schalbrettern stehen die Elternpaare und die Ehrmutter (Tauf-Patentante der Braut), die sich nicht von ihrer Mistgabel trennen mag.
Alle 250 an der Hochzeit Mitwirkenden und einige Zuschauer haben sich verkleidet: Männer tragen Perücken und Frauenkleidung, meistens Dirndl, die Frauen kommen in Lederhosen und mit Trachtenhüten daher.
Den ganzen Rummel mit Geschlechtertausch könnten die Veranstalter vom Christopher Street Day kaum besser hinkriegen.
Die Sau rauslassen
Warum feiern die Ascholdinger alle zehn Jahre eine Bettelhochzeit? Der Brauch ist wahrscheinlich um 1880 entstanden. Aus dieser Zeit datieren jedenfalls einige alte Fotos aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv.
Die ärmeren Häuslleut und Dienstboten durften damals nur heiraten, wenn sie gegenüber der Gemeinde ein Auskommen nachweisen konnten. Gehorsam, fromm und fleißig mussten sie sein und abends um neun zu Hause.
Nur im Fasching, da durften sie die Sau rauslassen. Aus Rache, zum Spaß und um die Großbauern und andere Herrschaften zu derblecken, feierten die armen Leute die derbste vorstellbare Parodie auf die scheinheilige Moral der Obrigkeit. Vor allem gegen die Pfaffen wurde gestänkert.
Nichts mitbekommen haben die Auswärtigen, was in den Wochen vor der Hochzeit passierte. Wie die Braut ihren Junggesellinnenabschied im Hofbräuhaus gefeiert hat, alle Burschen mit Dirndl und Perücke. Wie der Hochzeitslader ab dem 11.11. jeden persönlich eingeladen hat und wie viele Schnapserl dabei getrunken wurden. Wie das ganze Dorf an den Karossen für den Festzug gewerkelt hat.
Und was am großen Tag selbst passiert: Um vier morgens rücken die Burschen bei der Braut an, mit Böllerschuss, Weißwürsten und Bier. So will es die Tradition auf dem Dorf. Selbstverständlich werden auch bei einer Bettelhochzeit die normalen Regeln eingehalten.
Liebesheirat oder Zweckehe?
Auf dem Misthaufen stärkt sich die ganze Gesellschaft zunächst ausgiebig mit Bier, dann beginnt der Pfarrer mit der Befragung des Paares. Auf keinen Fall wird aus Liebe geheiratet, wie häufig auch im echten Leben gibt es ganz andere Gründe.
„Seids ihr zwoa Rindviecher freiwillig do, an diesem höchstunwürdigen Orte auftaucht, damit euer gschlamperts Verhältnis zu einem unordentlichen werd?“ Doch da quengelt der Bräutigam: „Ja, aber bloß zwengs da Steier. Ans Finanzamt muas ma ja so viel abdrücken, de ziang di komplett aus.“
„Ja, aber bloß zwengs da Steier ... und de Kinder“
Die Braut schimpft mit piepsiger Stimme: „Du brauchst ja bloß ned immer ois beim Wirt versaufen. Da Lacherdinger und Hoizwirt ham ja jetzt a scho so brutale Bierpreise.“ Da wird der Bräutigam böse: „Jetzt hoitst dei Mei, es werd gheirat, aber bloß zwengs de Kinder!“ Pfarrer ratlos: „Eiso ja? Dann steckts jetzt einander die Fangeisen an und sprecht mir dabei nach: So jetz ghearst da Katz.“
Schlusssegen mit der Klobürste
Nach dem Schlusssegen mit der Klobürste verteilt sich die Hochzeitsgesellschaft auf die abenteuerlich wirkenden Festwagen, mit denen sie auch vom Wirtshaus hergerumpelt ist. Das Brautpaar vorneweg auf einem Schiff, es folgt der Aussteuerwagen mit Bett, Schrank und Wäscheleine.
Elf Dirndl radeln auf einem einzigen, langen Fahrrad, ein Puffwagen mit grotesk verkleideten Zuhältern und „leichten Mädchen“ hinter einem Vintage-Traktor, danach zwei Wirtshäuser und eine Kirche voller Nonnen. Ziel: Wirtshaus – klar, da wird gefeiert bis Mitternacht. Mit Brautverschleppung, Blechmusik, Bier und Braten.
Jetzt und in alle Ewigkeit
Aschermittwoch. Benedikt Harrer, 24 Jahre alt, hat den Pfarrer gespielt. Ernüchtert und leicht verkatert sitzt er jetzt mit seinen ehemaligen Ministranten in der guten Stube seiner Oma beim – bezeichnenderweise alkoholfreien (!) – Bier. Für die gläubigen Katholiken ist bis Ostern Fasten angesagt.
Auf den kreisrunden Tonsuren zeigt sich erster Flaum. „Hier haben wir die ,Kirche‘ geplant“, erzählt Benedikt, „also Lesung, Predigt und die Fürbitten geschrieben.“ Warum die Verehrung des Biers? „Na ja, wir haben etwas gebraucht, das wir anstatt des Heiligen anbeten konnten. Was gibt‘s außer Gott? Das süffige bayerische Bier.“
Im neuen Glaubensbekenntnis heißt es deshalb folgerichtig: „Ich glaube an das heilige Bier des Wirtes und an die Gemeinschaft der Säufer. Vergib uns unsere Schuld, die wir zu zahlen haben, und führe uns nicht in Versuchung, nach Hause zu gehen, sondern erlöse uns von unseren Weibern und führe diese nach Hause. So lasst uns weitersaufen, jetzt und in alle Ewigkeit. Prost!“