Natur hautnah erleben auf Deutschlands einzigem Flussklettersteig! Mit einem Floß fahren, Eisvögel beobachten, Kröten küssen und Nattern streicheln – das und vieles mehr erleben Familien an einem Tag rund um Furth im Wald
Wildgarten Furth im Wald und Eisvogelsteig
An einem sonnigen Spätnachmittag lassen wir uns auf die Bänke unter Schirmen plumpsen. Die Erwachsenen sind glücklich-erschöpft, die Jungs brauchen dringend ein Spezi. Hinter uns liegt ein erlebnispraller Outdoor-Ferientag an der Grenze zwischen Oberpfälzer und Bayerischem Wald, der immer am, im oder auf dem Wasser stattgefunden hat. Richtig nass sind wir trotzdem nicht geworden, auch wenn das an diesem Vorzeige-Augusttag nicht gestört hätte.
Perfekter Ferientag dank guter Planung
Die Eltern Kathi und Michael haben den Tag mit ihren Söhnen Leo und Toni – Letzterer nach einem Einradunfall mit Gipsbein – geschickt geplant: Als Ausflugsendpunkt warten Kaltgetränke und hausgemachte Schmankerl für ausreichende Energiezufuhr. Dazu gibt es den idyllischen Ausblick von der Terrasse des Gasthofs „Am Steinbruchsee“ nahe Furth im Wald.
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurde dort, wo heute ein 20 Meter tiefer See zwischen Laubbäumen liegt, Granit abgebaut und bis nach München geschickt.
Neben dem Gasthof wartet ein Waldmuseum mit Präparaten einheimischer Tiere, eine Fischzucht inklusive 40.000-Liter-Aquarium und ein 60.000 Quadratmeter großes Wildgehege. Für Eltern mit Kindern im Vorschulalter reicht allein schon dieses Angebot als Ausflug. Toni und Leo aber sind schon im Gymnasium und brauchen deutlich mehr Action.
Damwild füttern im Wildgehege
Vor der Rast auf der Terrasse geht es also erst einmal ins Gehege. Wir besorgen uns Futter und warten auf das Damwild. Nach wenigen Augenblicken kommen die ersten Tiere vorsichtig zwischen den Bäumen hervor. Ihr hellbraunes Fell mit weißen Tupfen, die wie Sahnewölkchen aussehen, schimmert im Sonnenlicht.
Den Kopf weit vorgestreckt, schnuppern sie erst aufmerksam, bevor sie die Körner aus unseren Händen stibitzen. Dann ziehen sie sich ein paar Schritte zurück, bis wir für Nachschub sorgen. Als wir weitergehen, folgen sie uns noch etwas, dann umfängt uns die Stille des Waldes.
Wildgarten im Tal des Chamb
Abenteuerlich – ganz nach dem Geschmack von Toni und Leo – wird es in Uli Stöckerls „Wildgarten“ ein paar Minuten nördlich vom Steinbruchsee. Was vor 35 Jahren als Unterwasserbeobachtungsstation mit einer Bleistiftskizze begann, hat sich zu einer beinahe labyrinthischen Wildnis im Tal des Chamb entwickelt.
Wer das Glück hat, mit Uli zwischen Unkentümpel, Waldweiher, Baumhaus und Sumpfweg zu strolchen, wird schnell von dessen Freude an der Umgebung mitgerissen. Uli lässt Kinder und Erwachsene an den Wundern der einheimischen Natur aktiv teilhaben.
Flusskrebs und Feuersalamander
Schon mal vom Flusskrebs gezwickt worden? Ulis Flusskrebs Hansi verpasst Papa Michael ein „Biopiercing“. Wie viel Wasser reinigt eine Teichmuschel pro Tag? 800 Liter – wow! Schon mal Feuersalamander aus der Nähe gesehen? Uli macht’s möglich und greifbar. Er erklärt, dass das auffällige Muster aus gelb-orangenen Flecken den Feinden signalisiert: Vorsicht, giftig!
„Fühlt sich trocken und warzelig und am Rand wie mit Luft gefüllt an“
Im Wildgarten sollen Kinder wortwörtlich die Natur begreifen. Dazu gehört auch, einen Feuersalamander, eine Ringelnatter oder eine Erdkröte auf der Hand zu halten. O-Ton Toni zur Letzteren: „Fühlt sich trocken und warzelig und am Rand wie mit Luft gefüllt an.“ Das alles natürlich nur, wenn die Kinder das wollen, aber die meisten sind nach kurzer Zeit neugierig und fasziniert von den Lebewesen, erzählt Uli.
Jurassic Park im Bayerischen Wald
Als wir über einen Bohlenweg durch den Auwald streifen, taucht plötzlich das Skelett eines lebensgroßen Tyrannosaurus Rex zwischen Schilf und Weidenbüschen auf. „Da reißt’s dich sauber, wenn du den plötzlich siehst“, sagt Leo.
Und dann erzählt Uli, wie sie ohne Bauanleitung den Dino zusammengesetzt haben: „Du legst die Knochen hin und fängst einfach zum Basteln an.“ Jurassic Park im Bayerischen Wald.
Auf dem Eisvogelsteig durch den Fluss
Nur wenige Kilometer flussabwärts liegt das LBV-Zentrum „Mensch und Natur“ mit dem „Eisvogelsteig“, einem Klettersteig mitten im Fluss. Zwischen April und September können Familien mit Kindern ab fünf Jahren auf eigene Faust die Wasserwelt des Chamb mit Audioguide, hohen Wathosen und Sicherungsgurt erkunden.
Toni kann mit seinem Gipsbein nicht mit ins Wasser, aber vom Ufer aus beobachtet er amüsiert, wie wir uns in die Wathosen zwängen, den Audioguide, der uns zu fünfzehn Stationen führen wird, in der wasserdichten Hülle starten und dann, Leo vorneweg, die Treppe hinunter in den Fluss steigen.
Nach wenigen Schritten entlang des Stahlseils stehen wir bis über die Knie im Chamb. Die Sonne strahlt durch Baumkronen und lässt das Wasser glitzern, Schilf wiegt sich im Wind. Überall fiept, zirpt und piept es. Das Wasser umströmt unsere gummiummantelten Körper und trägt die Außenwelt mit sich davon. Die nächsten zwei Stunden fesselt uns der Zauber des Flusses.
Eisvogelsteig: Gut gesichert von Station zu Station
Quer durch den Chamb ist das Stahlseil gezogen. Metallene Tierstatuen mit Schildern, auf denen ein QR-Code angebracht ist, bilden die Stationen, an denen uns der Audioguide spannende Einblicke in die Wasserwelt gibt.
Dort unter der Brücke wohnen Wasserfledermäuse. Jedes dieser Tiere vertilgt während eines Sommers 60.000 Mücken. Weiter hinten führt eine schmale, ausgetretene Spur über das Ufer – ein Zeichen, dass am Chamb Biber leben. Mit 25.000 Haaren pro Quadratzentimeter Haut, den besonderen Unterwasseraugen und hochsensiblen Barthaaren sind Biber optimal an das Leben im Fluss angepasst.
Was sind eigentlich Kolke?
Gegenüber dem Einstieg waten wir in einen Altarm. Weidenzweige hängen bis auf die Wasseroberfläche herab, Blauflügel-Prachtlibellen umschwirren unsere Köpfe. Im Gegenlicht sehen wir Mückenschwärme über einer Sandbank tanzen. Für Fische sind Altarme ideale Laichplätze. Wenn die Fischlarven geschlüpft sind, können sie sich zwischen Sand und Geröll gut verstecken und müssen nicht gegen die Strömung ankämpfen.
Jagd auf Fische macht nicht nur der Graureiher, der etwas flussabwärts am Ufer steht, sondern auch der Fischotter an Station 8. Um dorthin zu gelangen, müssen wir durch Kolke waten, Vertiefungen im Flussbett, in denen uns das Wasser bis zum Bauch reicht. Vom Audioguide erfahren wir, dass Kolke für die Abkühlung des Flusswassers sorgen, welches dadurch mehr Sauerstoff aufnehmen kann.
Als wir kurz vor der Station 8 sind, wird die Strömung stärker, und wir stemmen uns gegen den Wasserdruck. Fischotter, erklärt unser digitaler Begleiter, gehen dort auf die Jagd. Sie waren bei uns beinahe ausgestorben. Aber dank Schutzmaßnahmen sind sie zurück ins Chambtal gekommen.
Abenteuerlicher Eisvogelsteig
Weiter geht’s zur nächsten Station! Leo, der sich vorkämpft und dem das Wasser beinahe oben in die Wathose läuft („Gleich schöpf ich ein!“), muss sich am Stahlseil entlanghangeln, das quer über den Auslauf des Wasserrads gespannt ist. Die Strömung ist kräftig, nach dem Regen der vergangenen Tage führt der Chamb heute viel Wasser. „Da zieht’s dir ja fast die Beine unter dem Körper weg“, ruft er und grinst dabei seine Eltern breit an – der Eisvogelsteig scheint Spaß zu machen.
„Da zieht’s dir ja fast die Beine unter dem Körper weg“
Etwas flussaufwärts neigen sich Weidenstämme über den Fluss, ein Dunkelwasserläufer stakst vor einem Prallufer davon. Dort gibt der Audioguide Informationen über den Eisvogel, dem der Steig seinen Namen verdankt. Denn solche sogenannten Prallufer gibt es in unseren begradigten Flüssen nur noch wenige. Aber der Eisvogel braucht genau solche Erdwände als Brutplatz. In diese gräbt er einen etwa einen Meter langen Gang und formt am Ende einen kleinen Brutkessel, in dem dann die Jungen schlüpfen und heranwachsen.
Am Ufer wartet die Wildgans
Am gegenüberliegenden Ufer verlassen wir den Eisvogelsteig und werden von Theo und einer Wildgans empfangen. Dass die Gans Martin heißt, hat er zuvor im LBV-Zentrum in Erfahrung gebracht. Der gute Martin führt uns dann watschelnd bis zum Bohlenweg, der auf der westlichen Seite des Chamb ein von Wasserläufen durchzogenes Auenareal erschließt.
Während Theo auf Krücken und Leo anschleichend versuchen, die Wildgans zu streicheln, bis sie schließlich im Dickicht verschwindet, dringen wir immer weiter in die verwunschene Landschaft aus Weiden, Eichen und Schilfwäldern vor. Schautafeln weisen auf Flora und Fauna hin, es gibt einen Gummistiefelpfad für die ganz Kleinen, ein Labyrinth, eine gläserne Imkerei und schließlich stoßen wir auf ein Floß.
Vom Eisvogelsteig aufs Floß
Theo gibt vom Ufer aus Navigations-Ratschläge, Leo schippert mit seinen Eltern auf dem Chamb herum. Einmal bleiben sie in den Zweigen einer Weide hängen. Dann schwankt das Floß bedenklich, als alle gleichzeitig auf einer Seite nach Fischen gucken. War da gerade nicht ein meterlanger Waller im Fluss?
Schließlich wird wieder angelandet, der Eisvogelsteig war ja nur ein Teil des Ferientags. Theo und Leo sind sich einig: „Du fühlst dich hier wie im Dschungel! Es ist etwas anstrengend, aber witzig und gleichzeitig abenteuerlich. Da brauchst du kein Handy.“