Vollmond-Schneeschuhtour? Das klang so spannend, dass unsere Reporter sofort losgezogen sind Richtung Allgäuer Alpen. In der Nagelfluhkette waren sie auf großem Fuß unterwegs und genossen die Extraportion Endorphine
Vollmond-Schneeschuhtour
Michael Schotts Versprechen klingt etwas vollmundig. Oder sollte man lieber sagen: vollmondig? An drei bis vier Winterterminen wirbt der 58-jährige Guide aus Bolsterlang mit der „Hörnertour bei Vollmond“. Dessen maximale Ausdehnung ergo Helligkeit kann der staatlich geprüfte Ski- und Bergführer auf die Nacht genau voraussagen, aber freilich nicht, ob das Wetter mitspielt.
Zwischen wolkenlos und voll bedeckt ist alles drin, inklusive Nebel und Schneegestöber. Es verhält sich also ein bisschen wie bei einer Safari: Man weiß zwar, dass das Objekt der Begierde da draußen umherzieht, aber nicht, ob und wann es zur Sichtung kommt. Andererseits fühlen sich Ereignisse mit Überraschungseffekt stets intensiver an als solche, bei denen alles exakt feststeht.
Totalausfall? Bis dato nicht
Eine „böse“ Überraschung in Gestalt eines „lunaren No-Show“ will freilich keiner erleben. Doch ein Totalrein- bzw. Totalausfall, so Michael im Vorfeld, komme sehr selten vor. „Ich biete schon seit sieben Jahren Vollmondtouren an“, erzählt er am Telefon, „und bis jetzt hat es meistens super geklappt. Abgesehen davon hat jede Witterung ihren Reiz.“ Mal sehen, welchen sie für uns ausspielt …
Sonne satt auf der „Boden“-Hütte
Während das Wetter in den vorangegangenen Tagen und Nächten Kapriolen schlug, könnten die Vorzeichen an diesem Spätfebruarsonntag besser nicht stehen. Ein klarer Himmel spannt sich über den in Weiß gehüllten Naturpark Nagelfluhkette, das Thermometer klettert deutlich über null – was sich nach Sonnenuntergang freilich wieder ändern wird.
Der Kipppunkt liegt so um 17 Uhr, wenn die Sonne saisonbedingt die Kurve kratzt. Um ohne zu frieren einen Cappuccino auf der Terrasse der oberhalb des Pfarrdorfs Balderschwang gelegenen „Boden“-Hütte zu genießen, reicht ihre Strahlkraft gerade noch.
Lauschiger wird es im Inneren, wo Wirt Matthias Lenz eine feine Brettljause hergerichtet hat, mit Käse, Speck, Kren und Krustenbrot. Eigentlich könnten wir in der ebenso urigen wie zeitgemäß eingerichteten Gaststube herrlich versacken – beim Blick ins Kaminfeuer und/oder in die Edelbrandgläser (zudem locken Sauna und Berghotelbett ein paar Meter weiter).
Doch Michael drängt zur Eile. Schließlich will er mit uns noch höher hinaus, um aus erhabener Warte den perfekten Sonnenuntergang zu erleben. Mit Schneeschuhen.
Ready, sunset, go
Also rein ins Auto, das wir ein paar Kurven später an Deutschlands höchstem befahrbaren Pass, dem Riedbergpass, auf 1.407 Meter Höhe abstellen. Während jetzt um halb sechs für die meisten Wintersportler der aktive Teil des Tages endet, beginnt er für uns erst.
Wir steigen in die von Michael mitgebrachten Schneeschuhe, verstauen Lawinenschaufel, Sonden und LWS-Geräte in die Rucksäcke, fixieren die Gamaschen, damit sich vor allem beim Bergabgehen kein Schnee unter die Hosenbeine oder in die Schuhränder mogelt, schnappen uns die Wanderstöcke – und los.
Knallbunt zeigt sich die Blaue Stunde
Perfektes Timing: Ein paar Minuten später stehen wir oberhalb der Bergstraße im Schnee und verfolgen, wie die Sonne in Zeitlupe und immer knalligerem Orange hinter den Bergen verschwindet.
Was für ein Spektakel! Mit nachhaltigen Lichteffekten in der „blauen Stunde“. Die hieße passender „bunte Stunde“, sorgen doch Rot-, Lila- und Blautöne für eine grandiose Beleuchtung der Gipfelskyline. Die Stirnlampen bleiben noch ein, zwei Stunden im Gepäck.
Korrekte Technik: Schön breitbeinig
Zwei Anhöhen weiter erzählt Michael etwas über die Gegend, etwa über das Auf und Ab der Skischaukel-Ausbaupläne am nahen Riedberger Horn und zur Benutzung der Piepser, deren Einsatz er uns trotz aktuell geringem Lawinenrisiko ans Herz legt. Seine Argumentation: „Das ist wie das Anschnallen im Auto, man macht es einfach. Wenn man doch mal etwas lostritt, wäre es dafür zu spät.“
Also gut, schadet ja nicht, genauso wenig wie die Hinweise zur Gang-Optimierung („immer schön breitbeinig, damit man nicht mit den Zacken an der Hose hängen bleibt“).
Hat man schnell raus, ebenso den idealen Rhythmus, mit dem es mal über verschneite Wiesen, unpräparierte Skihänge oder durch von Fichten, Weißtannen und Rotbuchen dominierte Waldstücke geht. Schon praktisch, dass man dank der großen Trittfläche so wenig einsinkt!
Wichtig: Sauber in der Spur bleiben
So kommt man immerhin auf zwei bis drei Stundenkilometer. Schneller jedenfalls als „unten ohne“. Dabei geht es stets bergauf, insgesamt sind 300 Höhenmeter zu bewältigen. Zwar begegnen wir auf der Tour keinem Menschen, aber die vielen Spuren verraten, dass seit dem letzten Neuschnee etliche unterwegs waren, vor allem Tourengeher.
Da wirkt es verlockend, neue Spuren in wilderem Gelände zu legen, doch Michael blockt ab: „Nicht nur der Sicherheit wegen, sondern auch aus Naturschutzgründen. Wildtiere brauchen ihre Rückzugsräume.“ Klingt überzeugend, ist es auch.
Wie zur Belohnung meldet sich in der Ferne ein Uhu. Oder war es ein Sperlingskauz? Von Michael erfahren wir, dass in der Nagelfluhkette neben Steinadlern und Birkhühnern auch Europas kleinste Eulenart zu Hause ist.
Sternstunden mit einem Special Guest
Dem Ruf der Wildnis folgend, stapfen wir unserem Guide hinterher. Auch wenn kein richtiger Weg erkennbar ist, er kennt ihn. Wortlos, fast schon meditativ treten wir in seine großen Fußstapfen. Unter uns funkelnde Schneekristalle, über uns erst Hunderte, dann Zehntausende funkelnde Sterne.
Da der Große Wagen, dort Kassiopeia und Orion. Doch neben dem bekannten Trio gibt es noch so viele andere Sternbilder. Ein paar nennt uns Michael. Ebenso wie einige Gipfel, die aus der scherenschnittigen Landschaft herausragen, allen voran der Grünten.
Kein Blabla. Das Gehen hat etwas Meditatives
Südlich vom „Wächter des Allgäus“ setzt Oberstdorf Lichtakzente, unter anderem mit den blinkenden Rotlichtern der langen Nebelhornbahn und den hell erleuchteten WM-Skischanzen. Im Tal aufziehende Nebelfetzen (Michael: „Leichte Inversionslage! Davon werden wir hier oben aber nichts mitkriegen.“) sorgen für Special Effects.
Die wollen bei einer Pause auf einem Plateau mit 270-Grad-Panorama länger beobachtet werden. Erst da bemerken wir, wie leise es ist, wenn wir nicht stapfen. Denn anders als Neuschnee verursacht der harschige Altschnee ordentlich Lärm. Das knackt bei jedem Schritt – ein Gesprächshemmer.
Macht nichts, wir bleiben einfach immer wieder stehen. Zum Reden wie zum Schweigen. Großer Worte bedarf der grenzenlose Weitblick ohnehin nicht.
Beschwingt bergab
„Keine Tour ist gleich“, bricht Michael das Schweigen. „Zum einen wegen der Gruppenkonstellation. Mal melden sich eher Familien mit Kindern an, mal Rentner, mal echte Sportskanonen. Und zum anderen variieren Wetter und Schnee, von pulverigem Neuschnee bis zu eher harschigem wie heute.“
Auch die Strecken unterscheiden sich. Bei der priorisierten Gruppenvariante geht es mit der Gondel hoch zum Riedberger Horn und mit Schneeschuhen zum Großen Ochsenkopf und, nach einer Einkehr, hinab ins Tal.
Mondphasen-Show
Die heutige Tour führt jenseits von Bergstation und Berggastronomie zum einsamen Wannenkopf. Und kurz bevor wir den geografischen Höhepunkt auf 1.712 Metern erreichen, erleben wir den visuellen: wie der Mond erst als heller Schlitz über der Bergkette im Osten aufleuchtet und dann zur immer größer und heller werdenden Bischofskappe mutiert, bis er wie ein kreisrunder Lampion über den Bergen schwebt. Wie groß er wirkt. Vor allem aber: so gelb. Wie ein Pfannkuchen, den man sich vom Himmel greifen und auf den Teller legen möchte …
Nach einer weiteren Mondbewunderungspause am Gipfelkreuz treten wir den Rückweg an, auf leicht geänderter Route und in fast euphorischer Stimmung. Was eindeutig auf das Konto des Mondes geht. Während wir langsam absteigen, steigt er langsam auf und taucht die Winterlandschaft in ein mystisches, stahlblaues Licht. Da wird die Nacht zum Tag.
Wir reden nicht viel, jeder inhaliert die einmalige Stimmung. Auch wenn wir nun schon fast fünf Stunden auf den Beinen sind, fühlen wir uns voller Energie, als wir am beinahe leeren Parkplatz ankommen. Keine Frage: Michael hat sein Versprechen eindeutig gehalten.
Infos
- Termine: jeweils einmal im Januar, Februar, März.
- Dauer: rund 5,5 Stunden.
- 55 Euro mit Hörnerdörfer Card, sonst 59 Euro.
- Vier bis zehn Teilnehmer, nach Rücksprache sind auch individuelle Touren möglich
- Weitere Infos unter hoernerdoerfer.de
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ammergauer-alpen.de
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allgaeu.de
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