Die TV-Moderatorin Traudi Siferlinger ist auch eine bekannte Jodlerin. Immer wieder gibt sie bei Kursen ihr Wissen um diese Kunstform weiter, die übrigens weltweit zu finden ist – auch bei den Maori. Unsere Reporterin machte den Selbstversuch
Jodeln lernen mit TV-Moderatorin Traudi Siferlinger
„Drei ho-e ü-ba d‘Oim hea, drei ho-e-ü-ba d‘Schneid, ho-da ro, drei-ho-e ri-di-ri-di-ri!“ Bloß nicht darüber nachdenken, was das bedeuten könnte, einfach raus mit den Tönen. Atmen. Sich vom Vibrieren der eigenen Stimme lockern lassen. Mit der Klangwelle treiben, die die Gruppe erzeugt. Zu welchen Ufern, das ist unwichtig. Käpt’n für die Reise in das musikalische Neuland ist Traudi Siferlinger, die bayrische Jodel-Königin.
Leicht hat sie es nicht, mit den Teilnehmern ihres Workshops Stimmung zu erzeugen. Der Saal in der Isarphilharmonie ist alles andere als bayerisch-gemütlich und viel zu groß für die etwa siebzig Leute. Doch das geblümte Dirndl der Musikerin leuchtet fröhlich gegen den grau-schwarzen Konzertsaal an. Dazu trägt sie eine gelbe Schürze, rote Strümpfe und gelbe Schuhe.
Hauptsächlich schauen wir auf ihren signalroten Mund, den sie abwechselnd weit aufreißt und schürzt. Da hüpfen diese wunderbaren, seltsamen Töne raus, mal spazieren die in der Höhe herum, dann kollern sie runter vom Kopf in die Brust. Zwischendurch erklärt Traudi gestenreich die Intervall-Technik, bei der die Stimme „umschnackselt“, so heißt das im Dialekt, den die Chiemgauerin so schön spricht. Die Fachwelt nennt diesen Wechsel von der Falsettzur Bruststimme „Registerwechsel“.
Jodeln soll glücklich machen
Zwischen Kopf- und Bruststimme zu wechseln, das wollen wir in den nächsten zwei Stunden lernen. Weil es sich so hübsch anhört und weil es glücklich machen soll. Jede und jeder könne jodeln, ermutigt uns unsere Königin, singen sowieso. Wenn wir nur einen Bruchteil der Energie und guten Laune auffangen könnten, die Traudi versprüht! Vorerst stehen wir alle so abwartend im Kreis herum wie an einer Haltestelle, wenn der Bus nicht kommt.
Ich krächze wie verlangt „ho-rä-ri“ und hoffe, dass man mich aus dem Gruppensound nicht heraushört. „Nicht denken!“, empfiehlt Traudi immer wieder, als ob das so einfach wäre. Die spießigen Meinungen in meinem Hirn gieren nach Sinn und Inhalten und produzieren Hemmungen. Bei „Ra-di-rö-di dulliö!“ fällt mir ein, dass wir als Kinder eine Geheimsprache hatten, die so ähnlich klang. Unfug zu reden war lustig. Unfug zu singen macht frei. Ich wünsche mir meinen Kindskopf zurück, wenigstens für diesen einen Moment.
„Wenn ihr allein jodelt, könnt ihr jede Silbe nehmen, ganz egal. Hier wollen wir aber zusammen singen, deshalb halten wir uns an die schönen traditionellen Jodler“, sagt Traudi. Dann sollen wir im Kreis herumgehen, mit den Armen schlenkern und singen. „Wunderbar!“, freut sich unsere Lehrerin. Sie hat recht: Durch die Bewegung haben wir uns entspannt und klingen schon ganz passabel.
Ned so lätschert, bitte!
„Hüften lockern!“, fordert sie jetzt, „Stellts euch vor, ihr stehts am Berg! Schauts in die Ferne! Ho da ra, hoe rid di rid di ri! Mei soo schee, ihr seids guat“, lobt sie uns immer wieder. Dann treibt sie uns an:
„Ned so lätschert! Es grummelt! Mir gehen einen Ton höher! Ihr müssts des direkt erotisch machen!“
Nach zwei Stunden hat Traudi uns so weich geknetet, dass die Schraubzwingen um Hüften und Schultern etwas Spiel bekommen haben und unsere Mundwinkel nach oben zeigen. Wir jodeln einen dreistimmigen Kanon! Sappralot! Es klappt. Und etwas über die Geschichte des Jodelns haben wir auch gelernt.
Gejodelt wird auch in Afrika und auf Papua-Neuguinea
Überall, wo Berge stehen, wird gejodelt, also weltweit. Ob im schottischen Hochland, in den Pyrenäen, Karpaten oder im Kaukasus, in Afrika und Papua-Neuguinea, Nord- und Südamerika: Die Leute aus verschiedenen Siedlungen wollen sich verständigen. Unverkennbar menschlich und von Tierlauten zu unterscheiden ist das häufige und schnelle Umschlagen zwischen Falsett und Bruststimme der Jodler.
Besonders die hohen Tonlagen tragen weit. Texte hätte man über die Entfernung sowieso nicht verstanden, vielleicht beschränkte man sich deshalb auf wenige Worte und Silben – darüber ist nichts bekannt. Aus dem europäischen Raum sind über hundert Melodien überliefert, die seit dem 18. Jahrhundert gejodelt werden.
Und was ist mit dem Juchitzer?
Juchzen ist verwandt mit dem Jodeln, der sogenannte Juchitzer ist kurz und laut und drückt unbändige Freude aus. Viehhirten verständigten sich mit Juchitzern zwischen den Almen, es hieß so viel wie „Ich bin da!“.
Auch Viehlockrufe hatten sie komponiert, die „Kuhreihen“. In die Jodler bauten sie die Namen der Kühe ein, die zum Melken gerufen wurden. Natürlich haben wir mit Traudi einen solchen „Küahsuacha“ gejodelt, es hört sich so lieblich und romantisch an wie der Zwiegesang zwischen zwei Liebenden, die sich zum Fensterln verabreden. Den haben wir auch geübt.
Richtig loslegen kann die Traudi am Abend in der Gaststätte „Fraunhofer“ am Münchner Gärtnerplatz, zusammen mit der Berghammer Tanzlmusi. Schräg scheint die Sonne durch die hohen Fenster der denkmalgeschützten Traditionswirtschaft, in zwei Stunden soll der „Hoagascht“ beginnen.
Es ist ein Heimspiel für „Die Siferlinger“. Hier tritt sie oft auf, Wirt „Beppi“ Bachmeier ist ein Freund, man schwimmt im selben Teich: Der „Beppi“ stemmte jahrelang das Herzkasperlzelt auf der Oidn Wiesn. Die Traudi bestimmt auf der Traditionswiesn seit ein paar Jahren nicht nur das Musikprogramm im „Volkssängerzelt Schützenlisl“, sie moderiert es auch. „I gfrei mi so da drauf“, sagt sie. „Ich werde viel mit den Leuten singen.“
Mit ihrer Volksmusik bestückt sie unzählige Hörfunk- und Fernsehsendungen, am bekanntesten sind die „Wirtshausmusikanten“, die sie seit 2005 moderiert. In 68 Sendungen und in ebenso vielen Dirndlgwändern stellte sie Generationen von Musikanten vor. Wer von ihr entdeckt wird und im Wirtshaus „Hirzinger“ im Chiemgau vor den Kameras aufspielt, darf mit einem Karriereschub rechnen.
„Ich hör mir viele an, gerade begeistern mich die jüngeren Musikerinnen und Musiker, die sich trauen, frechere Texte, komplexere Rhythmen und Dissonanzen einzubauen. Ein paar Newcomer dürfen sich demnächst im ,Schützenlisl‘ ausprobieren. Wenn sie gut sind, lade ich sie danach in meine Sendung ein.“
Mit Volksmusik sind die fünf Siferlinger-Geschwister aufgewachsen, gejodelt wurde sowieso immer mal. Alle Kinder haben auch Instrumente gelernt. Traudi entschied sich für die Geige. Nach dem musischen Gymnasium schloss sie die Hotelfachschule ab, eine „richtige“ Berufsausbildung sollte her. Aber wie es oft so ist mit der Vernunft: Sie kommt nicht gegen die Liebe an.
Traudi bewarb sich an der Musikhochschule und am Konservatorium, studierte Violine, Musikpädagogik und Musikalische Früherziehung. Da hat sie wohl gelernt, wie man siebzig stocksteifen Workshop-Teilnehmern ein paar hübsche Jodler entlockt.
Die Geschwister Hermann Siferlinger und Maria Remmelberger sind aus dem Chiemgau angereist, dazu auch der Mann mit der Ziach, Rainer Amasreiter. Die Geschwister proben Dreigesang, einer der Jodler heißt Hops hodare, der Text besteht aus schönstem Nonsense: „hullio-i jodare hulliö-i ri-ti-ri-ti-ri, ,Pass auf‘, hats gsagt, Hops ho-da-re ...“, die Melodie ist fröhlich. Die Geschwister haben schon zusammen gesungen, bevor sie sprechen konnten, so ungefähr jedenfalls.
Die Gäste kommen, schnell sind die langen Holztische besetzt, Bier wird gebracht, es duftet verführerisch nach Schweinebraten, alle haben was zu sagen.
Vier Mannsbilder mit Filzhüten und Lederhosen quetschen riesige Instrumentenkästen an den Tischen vorbei, die Tanzlmusi ist da. Tenorhorn, Basstrompete, Flügelhorn und Tuba werden ausgepackt und eingeblasen. Verstärker brauchen die schon mal nicht – bei der Lautstärke fegt es glatt den Schaum von den Bieren.
„Schee, dass do seids!“, begrüßt Traudi ihre Gäste. „Fang ma glei o! Meine Gschwister kennts ja: Der mit der Gitarre ist der Herrmann, die Maria ist meine ältere Schwester.“ Die drei singen ein paar herzzerreißend romantische Jodler, dann ist das Publikum dran. „Bitte legts als Erstes die Handys weg! Nicht denken, erst mal summen und dann Silbe für Silbe nachsingen!“ Das Publikum schafft tatsächlich einen dreistimmigen Jodler!
Dann wird der Zapfer hinter der Theke hervorgebeten: Georg Hahn ist ein begnadeter Löffler und muss zwei Lieder lang für hinreißenden Rhythmus sorgen. „Normal nehm ich Holzlöffel, jetzt müssen halt welche aus dem Besteckkasten herhalten“, sagt er.
Den Laden zum Kochen bringt der Ohrwurm „Heut kommt der Hans zu mir, freut sich die Lies ...“ In den ersten Strophen muss der Hans über Oberammergau oder über Unterammergau, was schon lustig ist wegen des Zungenbrechers „oba-aba-üba-unta ...“. Dann kommt: „Hans isst gern Leberkas ohne Gebiss. Ob er aber mit dem Oberkiefer kaut oder aber mit dem Unterkiefer kaut oder aber überhaupts net kaut, des is net gwies!“ Und so weiter ...
Später sitzen die Musiker noch zusammen. Wie sie das macht: nicht nur immer gut drauf sein, sondern auch noch andere mitreißen? „Wir Geschwister haben früh unsere Eltern verloren, ich habe zehn Jahre lang Schwarz getragen, alle meine Möbel waren schwarz, ich weiß, was Trauer ist. An einem Tag, es war kein besonderer, war es vorbei.
Ich war wieder frei fürs bunte Leben. Wahrscheinlich ziehe ich meine Kraft daraus, dass ich die dunklen Seiten des Lebens auch kenne. Außerdem habe ich einen wunderbaren Mann, der mich unterstützt“, sagt sie, „Morgens bin ich ganz still, da sag ich gar nichts. Und dann hör ich manchmal eine Amsel singen. Die haben auch so große Intervalle in ihren Rufen, so wie ein Jodler. Als ob sie Brust- und Kopfstimme hätten. Ich lausche und dann jodel ich ein bisschen mit.“