Der Wald ist Lebensraum für Tiere und Erholungsort für Menschen. Damit das so bleibt, braucht es einen gesunden Waldboden. Wie holt man geschlagenes Holz sanft aus dem Wald? Mit Arbeitspferden. Reporter Frank Heuer begleitete Ignaz Freisl beim winterlichen Holzrücken
Holzrücken mit Pferden
Minus sieben Grad. Eine dicke Schneedecke hat sich über den Landkreis Weilheim-Schongau gelegt. So muss es wohl gewesen sein früher: kein Motorenlärm weit und breit, keine Abgaswolken. Nur Holz, Leder, Eisen und das Schnauben der Pferde.
Scheinbar mühelos ziehen Litzi und Nora, die beiden kräftigen Kaltblutstuten, mit geschmeidigem Hufschlag den uralten Holzschlitten aus dem Freisl’schen Familienbesitz über verschneite Wege in den Wald. Von der Schneelast gebogene Äste am Wegesrand bestäuben uns mit Kristallwolken. Der dünne Schweißfilm auf den Rücken der Süddeutschen Kaltblüter zeugt von der Anstrengung des kurzen, aber knackigen Anstiegs im Wald.
Vor einer Jagdhütte im Königsberg Wald bleiben wir stehen. Ein Hauch von zeitloser Patina liegt über der schlichten Holzhütte. Der gusseiserne Ofen, ein rustikaler Holztisch, eine Sitzbank – mehr braucht es nicht. Ignaz Freisl macht Feuer im Ofen, damit er später nicht im Kalten essen muss.
Statt des Schlittens bekommen die Pferde nun ein Waagscheit mit Kettengehänge und Kettensträngen ans Spitzkummet gehängt. „Wie ruhig es ist, wenn man auf einen modernen Holzernter mit Kran und Vollverkleidung verzichten kann“, sagt Ignaz.
Mit „Vorliefern“ den Waldboden schonen
„Wenn ich mit den Pferden im Wald arbeite, ist das Holzrücken für mich wie ein Urlaubstag in der Natur“, erzählt der rothaarige Naturbursche, der im Hauptberuf in der Habacher Jaudenmühle biologisch-dynamisches Tierfutter erzeugt. Beim „Hoizn“ finde er Ruhe, sagt Ignaz. Eine Art produktive Meditation.
„Heute ist es wichtiger denn je, kleine, an die Situation angepasste Technik zu verwenden statt überall die gleiche Großtechnik einzusetzen“
Ignaz hat am Vortag einige Baumstämme zum Rücken vorbereitet und kürzt nun mit der leisen elektrischen Motorsäge überstehende Äste. Mit Gesten, kurzen Kommandos und einer langen Lederleine dirigiert Ignaz danach die Tiere durch das Unterholz, bis er den gefällten Baum an die Kette hängen kann.
Auf ein kurzes „Hoe“ setzt sich das Gespann mit dem 12 Meter langen Baumstamm im Schlepptau kraftvoll in Bewegung. Innerhalb kürzester Zeit wuchtet das eingespielte Team fünf schwere Baumstämme aus der Mitte des Walds an den Rand des nächsten Waldwegs, ohne nennenswerte Spuren im Wald zu hinterlassen.
Das ist die Aufgabe der Rückepferde: gefällte Bäume dorthin zu bringen, wo sie von Lastwagen abtransportiert werden. Ganz ohne den Waldboden zu schädigen. „Vorliefern“ heißt das im Fachjargon. Das tue dem Boden gut, schütze die Artenvielfalt und das sensible Kommunikationssystem der Waldpflanzen untereinander, erklärt Ignaz. Heute übernehmen diesen Vorgang meist Maschinen.
Werkzeug braucht Ignaz für seine Arbeit kaum. Nur eine Sappie, einen spitzen Holzwendehaken aus Metall, und zwei stählerne „Stroafhackln“, auf Deutsch: Streifhaken, die in den Baumstamm geschlagen werden, um die Zugkette einhängen zu können.
Bis Anfang der 1970er-Jahre war es üblich, geschlagenes Holz mit Pferden aus dem Wald zu ziehen. Holzrücker war damals ein eigener Beruf und ein eigenes Pferd ein Zeichen von Wohlstand, das den Bauern vorbehalten war.
Alte Tradition versus Industrialisierung
Die uralte Tradition des Holzrückens wurde zunehmend durch den Einsatz von Traktoren und Seilschleppern abgelöst. Ab den 1990ern kamen immer größere und schwerere Arbeitsmaschinen zum Einsatz.
Die Bundesforstreform von 2003 beschleunigte den Wandel, indem sie die zu betreuenden Flächen pro Förster deutlich vergrößerte und damit kleintechnische Lösungen aus der Waldbewirtschaftung verdrängte.
„Heute ist es wichtiger denn je, kleine, an die jeweilige Situation vor Ort angepasste Technik zu verwenden statt überall die gleiche Großtechnik einzusetzen“, findet Ignaz. Und die Gesellschaft müsse den Wert von Holz und die Bedeutung nachhaltiger Forstwirtschaft besser verstehen.
Bodenqualität und Artenvielfalt schützen
„Klar ist, dass Holz aus dem Wald entnommen werden muss, um eine gesunde Waldstruktur in eine gesunde, naturgemäße Richtung zu lenken“, sagt Ignaz. Idealerweise durch schonende, manuelle Durchforstung, die die Artenvielfalt und die Bodenqualität erhält.
Immerhin wachsen pro Hektar Wald jährlich ungefähr 15 Festmeter Holz nach, die man mit gutem Gewissen entnehmen könne. Diese Menge entspreche vier bis fünf dicken Bäumen und ergebe zusätzlich eine Menge Brennholz.
Natürlich nutzt Ignaz sein Ernteholz zum Heizen des Wohnhauses und der Getreidemühle. Die schönen Stämme werden entweder verkauft oder, wie aktuell, für den Bau eines eigenen Massivholzhauses verwendet. Auch eine gute Möglichkeit, Kohlendioxid über viele Jahrhunderte zu binden und damit etwas für den Klimaschutz zu tun.
„Wenn man dem Wald kein Holz entnimmt, bricht irgendwann das Waldinnenklima zusammen. Die Verwilderung ist dabei das geringste Problem.“ Die Folgen seien Wind- oder Feuerereignisse. Der Borkenkäfer breite sich massiv aus und lasse alles absterben. Ein Albtraum für jeden Förster. Die Mikroorganismen am und im Boden wären Sonneneinstrahlung, Hitze, Kälte und Trockenheit schutzlos ausgeliefert.
„Ideal ist es daher, den Wald möglichst geschlossen zu halten und gleichzeitig Voraussetzungen zu schaffen, dass das Sonnenlicht bis zum Boden durchdringt“, erklärt Ignaz. „Nur wenn da grüne Pflanzen wachsen, habe ich Regenwürmer, pflanzenfressende Tiere und andere Bodenlebewesen, die für die Humusbildung unentbehrlich sind.“
Waldboden in Gefahr
Grundsätzlich geht es heute in den meisten Fällen darum, das Holz möglichst kostengünstig aus dem Wald zu bringen. Die Schäden in Form hochverdichteter, vier Meter breiter Rückegassen im Abstand von 20 Metern (Anmerkung: Harvester haben einen Schwenkkran mit 10 bis 12 Meter Reichweite) dürften noch die nachfolgenden Generationen beschäftigen.
„Hochgerechnet sind wir in den deutschen Wäldern gerade dabei, knapp ein Viertel unseres Waldbodens einer schnellen und günstigen Holzerntetechnik zu opfern. Und wenn ich bedenke, dass diese Fläche auf Jahrhunderte beschädigt ist, kein fähiges Holz mehr produziert und die Überschirmung das nicht kompensieren kann, bin ich mit dieser Großerntetechnik schnell in einem ökonomisch wie ökologisch schlechten Fahrwasser unterwegs“, sagt Ignaz.
Zurück an der warmen Jagdhütte. Die braven Kaltblüter mit ihren blonden Mähnen sehen glücklich und zufrieden aus. Und ja, Pferde sind keine Maschinen, die man nach Feierabend wortlos in die Garage stellt. Genau wie wir Menschen lieben sie das Gefühl, gebraucht zu werden und eine Aufgabe zu haben. Nach getaner Arbeit bekommen Litzi und Nora einen dicken Sack Heu, freuen sich über geschmolzenes Schneewasser und wärmende, bunt karierte Wolldecken auf dem Rücken.
Waldpädagogische Einrichtungen
- Walderlebniszentrum Grafrath: Hier kann man an einem einzigen Fleck die Wälder Europas, Amerikas und Asiens bestaunen. Mehr erfahren
- Walderlebniszentrum Schernfeld: Abenteuerparcours, Sinnespfad und Waldzeltplatz mit fünf rustikalen Hütten. Mehr erfahren
- Walderlebniszentrum Tennenlohe: Infos zur Waldgeschichte und auch zur modernen, nachhaltigen Forstwirtschaft. Mehr erfahren
- Steigerwald-Zentrum: Wechselausstellungen zu Umweltthemen, Waldlabor, „Waldklimastation zum Anfassen“ und Waldwerkstatt. Mehr erfahren
- Walderlebniszentrum Ziegelwies: Baumkronenweg in 20 Meter Höhe, Walderlebnispfade, Ausstellung, Waldspielplatz. Mehr erfahren