Bodenschätze aus der Urzeit der Erdgeschichte brachten dem Bayerischen Wald Wohlstand: Granit und Graphit. Spannende Einblicke gewähren das Besucherbergwerk Kropfmühl und das Granitmuseum in Hauzenberg
Granit und Graphit aus Hauzenberg
Anzeige | „In Hauzenberg liegt ein Schatz begraben!“ – endlich eine gute Nachricht für die unter den Nachwirkungen des Feudalsystems leidenden Bauern im 19. Jahrhundert. Schnell sprach sich die Kunde von den unscheinbaren, aber wertvollen schwarzen Klumpen bis zum ärmsten Kleinbauern herum. Das graphithaltige Gestein lag auf den Feldern oder knapp unter der Erde.
Die Folge: Es entstanden bäuerliche Kleingruben. Im Sommer wurde geackert und das Vieh versorgt, im Winter konnte man sich dank des Erzes „ums echte Geldverdienen“ kümmern. Die Millionenbauern von Hauzenberg leisteten sich solide Häuser aus Granit und steckten sich in der Wirtschaft dicke Zigarren an.
Einer der wichtigsten Rohstoffe der Welt
Die erfolgreichste Mine war die Kropfmühl, gegründet 1876 von den beiden sächsischen Brüdern Bessel. Ihnen gelang es, mithilfe von Aufschlämmung das Erz von seinen Nebenbestandteilen zu trennen. Schon die Kelten hatten Tonwaren mit graphithaltiger Erde gebrannt. Tiegel für die Metallschmelze kamen im Mittelalter dazu. Irgendwann entdeckte man, dass sich mit Graphit schön malen ließ. Der älteste bekannte Bleistift ist 300 Jahre alt. Ein echter Durchbruch kam jedoch durch die Verwendung von reinem Kohlenstoff.
Inzwischen steckt das Mineral in Motoren und Maschinen, Farben und Kunststoffen, Handys und Industriediamanten. Nichts geht mehr ohne Kohlenstoff. Graphit zählt zu den 35 kritischen Rohstoffen der Europäischen Union. Die Firma AMG, die 2012 die Graphitmine Kropfmühl erwarb, hat sich mittlerweile zu einer weltumspannenden Aktiengesellschaft und zu einem bedeutenden Arbeitgeber der Region entwickelt.
Einfahren in die Geschichte des Bergbaus
Wie das Erz vor einem Jahrhundert abgebaut wurde, führt Frank Graml in einem seit 70 Jahren stillgelegten Teil des Bergwerks vor. Wir bekommen Helme und Umhänge, dann fahren wir in das Besucherbergwerk ein.
„Bergleute haben ihre eigene Sprache“, erklärt er, „es wird immer gefahren, egal ob wir Treppen steigen oder laufen. Die Luft hier unten heißt Wetter. Gute Wetter bedeuten: Wir können atmen. Wenn sich die Wetter verschlechtern, muss man den Stollen sofort verlassen.“
Der Lichtschein der Lampe unseres Guides tanzt über dunkles, grob behauenes Gestein, als er die ersten drei Treppen hinabfährt. In einer unterirdischen Halle rosten ein alter Kompressor und ein gelbes, baggerähnliches Gerät vor sich hin. „Als Ersatz für Frauen, die ja nicht im Bergwerk arbeiten durften, haben die Kumpels diesen Wurfschaufellader Nina getauft“, sagt er und startet ein kleines Inferno: Nina rumpelt los, und zwar sehr laut für eine alte Dame!
Kumpels früher und heute
Wir fahren durch Tunnels, gruseln uns vor der Sicherung eines Stollens mit Baumstämmen, erschrecken über die Arbeitsbedingungen, die früher geherrscht haben. „So sah ein Arbeitsplatz vor hundert Jahren aus“, erklärt Frank Graml, „und das ist Paul, der gerade Brotzeit macht.“ Dabei zeigt er auf eine bedauernswerte, schwärzliche Person, die zwischen Werkzeug und Gestein hockt, ein Brotzeitbrett auf den Knien.
Heute sind die Bergleute gut geschützt. Man sieht es an einer Figur namens Fredi: Er trägt einen gelben Arbeitsoverall, Helm und am Gürtel einen Selbstretter, der Brandgase herausfiltert. Mit einem Bohrhammer stemmt er Sprenglöcher in die Wand. „Heute wird nur noch gesprengt. Das machen wir am Schichtende. Bis zum nächsten Morgen haben sich dann die giftigen Schwaden verzogen, und die Kumpels können das Material nach oben schaffen“, schildert Frank Graml das Vorgehen heutzutage. Dann fordert er beim Hinauffahren: „Ihr müsst ,Glück auf!‘ zum Fredi sagen. Wer das vergisst, muss leider die 220 Stufen wieder hinunter und es nachholen!“
In Jahrmillionen zusammengebacken
Graphitadern bestehen aus den Ablagerungen von Blaualgen in den Urmeeren vor 600 Millionen Jahren. Im Lauf der Erdgeschichte wurden sie durch Überlagerung von Gesteinsmaterial zu Flözen gepresst und gestaucht. Die Pflanzen verdichteten sich zu Kohlenstoff, der sich durch die Faltung der Gebirge nach oben schob. Durch Erosion flachten die Gipfel ab, und die Bodenschätze kamen nahe an die Oberfläche. Es entstand die liebliche Hügellandschaft des Bayerischen Waldes.
In über hundert Steinbrüchen wurde hier früher Granit abgebaut, heute arbeiten noch rund fünfzehn davon
Nicht nur Graphit wanderte nach oben, sondern auch magmatisches Gestein, Granit zum Beispiel, der die Region um Hauzenberg prägt. „Wir sitzen auf einem Pluton mit einem Radius von 10 bis 20 Kilometer“, umreißt Klara Windpassinger, Leiterin des Granitmuseums, die Ausdehnung des Granitvorkommens in der Region.
„Plutone sind Blasen erkalteten Magmas, die sich aus 10 bis 15 Kilometer Tiefe an die Erdoberfläche bewegt haben. Das geschmolzene Gestein ist kristallisiert, in unserem Fall entstand Granit. Vor rund 350 Millionen Jahren dürfte das gewesen sein. In über hundert Steinbrüchen wurde hier früher Granit abgebaut, heute arbeiten noch rund fünfzehn davon.“
Erdgeschichte im Granitmuseum
Die Wände des modernen Museumsbaus bestehen aus den verschiedenen Arten von Oberflächen, die Granit annehmen kann. Beispielsweise kann man über glatten, polierten Stein streichen. Als Kontrast stellten die Architekten handwerklich gespaltenen Granit dazu, der eine raue Struktur aufweist und hauptsächlich im Garten- und Landschaftsbau verwendet wird. Eine riesige Wand ist einem Steinbruch nachempfunden, davor stehen historische Maschinen: Lader, Bagger, Bohrer.
„Das Spalten von Granitblöcken ist eine fast vergessene Technik. Es gibt nur noch wenige Steinhauer, die wissen, wie das geht“, sagt Klara Windpassinger und zeigt einige handliche eiserne Werkzeuge: einen Keil, zwei Stifte. „Damit kann ein Steinhauer die größten, zentnerschweren Blöcke teilen. Er muss nur den ,Gang‘, die innere Struktur des Granits, kennen und wissen, wo er ansetzen muss.“
Die letzten Könner
Einer dieser legendären Steinmetze arbeitet im Steinbruch Götzer, der Klara Windpassingers Eltern gehört, ein paar Kilometer von Hauzenberg entfernt. Johann Gintenreiter steht auf einem riesigen Quader und bohrt eine Reihe Löcher. Manfred Sommer, Klara Windpassingers Vater, führt durch den Familienbetrieb seiner Frau Lydia, geborene Götzer. Hier wurden unter anderem die Granitplatten geschlagen, die auf dem Jakobsplatz in München rund um die Synagoge verlegt wurden.
In einigen offenen Schuppen wird gebohrt und gehämmert. Etwas abseits vom Lärm erzählt er: „Steinhauer – nicht Steinmetz! – war nur für ganz wenige Jahre ein Ausbildungsberuf, Steinhauer ist man sozusagen in der Generationsfolge geworden.
Noch bis in die 50er-, 60er-Jahre war es üblich, dass der Sohn mit dem Vater in den Steinbruch ging und vom Vater in die Technik und ins Wissen um die Beschaffenheit des Granits eingeweiht wurde. Spätestens in den 1970er-Jahren endete diese Tradition. Heute geht das Können und Wissen um das Spalten von Granitblöcken langsam, aber unaufhörlich verloren. Schade, weil gespaltener Granit die wohl natürlichste und auch schönste Form des Granits ist.“
Das Gefühl für Granit
In gutem Granit steckt eine rechtwinklige Struktur, entstanden vor 350 Millionen Jahren, als der Erd-Magnetismus die Mineralien im Magma ausgerichtet hat
Inzwischen ist Johann Gintenreiter mit dem Bohren fertig und steckt Werkzeuge in die Bohrlöcher, wie sie Klara Windpassinger im Museum gezeigt hatte: in jedes Loch zwei dünne geschmiedete Eisenstäbe, dazwischen einen dickeren längeren Keil. Dann nimmt er einen großen Hammer und treibt den Keil zwischen die Stäbe. Diese spreizen sich. Ein Spalt tut sich auf. Der Block ist zerteilt.
„Der Hans weiß einfach, wo die richtige Linie ist. Er erkennt den Gang in dem Stück, das er vor sich hat. In gutem Granit steckt eine rechtwinklige Struktur, entstanden vor 350 Millionen Jahren, als der Erdmagnetismus die Mineralien im Magma ausgerichtet hat. Im Idealfall wunderbar waagrecht (Ost/West) und senkrecht (Nord/Süd). Stimmt der Gang, diese ,innere Maserung‘ des Granits nicht, weil sich die Struktur durch Verwerfungen wieder verschoben hat, dann lässt sich der Granit nicht in gute Quader oder Pflaster spalten. Dann kann man daraus nur Schotter produzieren.“
Das Paradies
Nichts ist rechteckig bei Reinhard Mader. Der Bildhauer sieht organische Formen in seinen Granitbrocken. Er lädt uns ein ins Paradies – so nennt er sein Open-Air-Studio in einem aufgelassenen Steinbruch in Tittling bei Passau. „Für mich ist das die schönste, friedlichste Stelle der Welt“, sagt der 65-Jährige, als sich mitten im Wald eine Lichtung auftut. „Hier habe ich endlos Raum für mich und kann Krach machen, soviel ich will.“
Das Paradies endet abrupt an der Abbruchkante des Steinbruchs. Der Grundwassersee, der sich gebildet hat, liegt dunkelgrün in der Tiefe. Am anderen Ufer ragt eine Granitwand auf. Abstrakte große Plastiken liegen und stehen verstreut im Gras, letzte Sonnenstrahlen malen helle Flecken auf das verwitterte Grau.
Nicht nur nützlich! Granit kann auch anders
„Das sind meine Jugendwerke. Schon mit 16 war mir klar, dass ich Bildhauer werden wollte wie mein Vater. Aber anders! Bei ihm habe ich zunächst das Steinmetzhandwerk gelernt, später dann in der Dombauhütte Passau. Von den figurativen Arbeiten meines Vaters musste ich mich sehr weit entfernen.“ Dann zeigt es auf einige aktuelle, kleinere Werke. Den Granit hat Mader mit Eisen kombiniert und stellenweise rot bemalt. „Das macht sonst niemand! Für diese Kombination mit roter Farbe bin ich bekannt. 2021 habe ich den Kulturpreis des Landkreises Passau bekommen.“
2021 habe ich den Kulturpreis des Landkreises Passau bekommen.
Vor einem Unterstand lagert ein zentnerschwerer Stein, an dem Reinhard Mader aktuell arbeitet – eine Auftragsarbeit. Er legt Ohrschützer und Schutzbrille an, dann stemmt er mit einem Bohrhammer Rillen in den Granit. Wohin das führt, erkennt nur er. „Narrisch anstrengend“, sagt er in einer Pause, „aber ich bin damit aufgewachsen. Schon mein Urgroßvater war Bildhauer. Ein kleiner Steinbruch war in Familienbesitz, doch der Großvater und seine vier Brüder haben ihn vertrunken.“
Nichtstun kann genau richtig sein
Zum Abschluss besuchen wir den „Gidibauer Hof“. Der denkmalgeschützte
Vierseithof aus Granit beherbergt ein sehr gutes Restaurant sowie neunzehn Gästezimmer. Als Hans Ertl 1980 den 250 Jahre alten Bauernhof von seinem Onkel erbte, standen in dem heute preisgekrönten Restaurant Kühe.
Der 80-Jährige zeigt die ehemaligen Ställe: Das geziegelte Tonnengewölbe ruht auf Granitsäulen. Der Vater von Ertl hat im Steinbruch gearbeitet, der Großvater auch. Vielleicht hat einer seiner Vorfahren den Granit gehauen, aus dem der „Gidibauer Hof“ errichtet wurde.
An der Fassade des massiven Hauptgebäudes steht ein Spruch von 1826: „Wir Engel all vom Himmelreich wundern uns über das Erdenreich, dass die Menschenkinder bauen Häuser so fest, und sind darin nur fremde Gäst und wo sie ewig sollen seyn, da bauen sie gar wenig ein.“ Der letzte Halbsatz verschwindet fast hinter einer Birke. Ein Windstoß bringt die goldgelben Blätter zum Rauschen, dann segeln einige zu Boden.