Die Glaskunst ist im Bayerischen Wald tief verankert. Unsere Reporterin hat sich auf die Spuren der Glasgeschichte gemacht und sich sowohl traditionelles Handwerk als auch die maschinelle Glasfertigung angesehen
Durchsichtige Geschäfte. Glas im Bayerischen Wald
Anzeige | Vor allem Bären, Wölfe und Luchse streiften durch die ausgedehnten Wälder Ostbayerns und Böhmens. Im 14. Jahrhundert kamen die Glasmacher dazu, gefördert von den großen Klöstern, die das Wissen um das Glasmacherhandwerk gesammelt hatten.
Der Wald bot den mutigen Pionieren alles, was sie brauchten, in Hülle und Fülle: Holz für die Öfen, Quarzsand und Pottasche aus Buchenholz. Das grüne Waldglas, für das die Region bekannt ist, erhielt seine Farbe durch die Verunreinigung des Quarzsandes mit Eisenoxid.
Wenn der Weg zum Roden zu weit war, verlegten die Glasmachersippen ihre Siedlungen. Dies geschah in der Regel nach etwa sechzig Jahren. Holzhauer, Schürer, Wirker, Kölbelmacher, Einbläser, Meister, Einträger und ihre Familien siedelten sich mit Erlaubnis der jeweiligen Grundherren an einem anderen Ort an. Sie stellten Perlen, Butzenscheiben, Knöpfe und Gläser her. Erst im 19. Jahrhundert, mit Beginn der industriellen Revolution, wurden die Glasmacher dauerhaft sesshaft.
Doppelt hält besser: Glas aus der Maschine oder der Manufaktur
Kohle und Gas erzeugten jetzt die Hitze für die Schmelze. Maschinen und Fließbänder ersetzten die meisten Gewerke rund ums Glas. Bei Zwiesel Glas, 1792 als kleine Tafelglashütte gegründet, lief 1961 das erste maschinell gefertigte Glas vom Band. Neben der heute größten Maschinenproduktion in Deutschland hat sich das mittlerweile 800 Mitarbeiter starke Unternehmen aber seinen Ursprung bewahrt und fertigt in der Manufaktur vor Ort nach wie vor mundgeblasene Gläser.
„Glas entstand wahrscheinlich zufällig vor 4.500 Jahren beim Metallmachen oder Keramikbrennen irgendwo in Mesopotamien. Viel hat sich bei der Zusammensetzung des Gemenges, also der Rohstoffe, nicht geändert“, beginnt Günter Reif, Leiter der Handfertigung, die Führung am Fuße der Bühne, auf der drei Glasmacher arbeiten.
Heißer als im Inneren eines Vulkans
Er deutet auf fünf Gefäße mit naturfarbenen Pulvern: Quarzsand, Soda, Pottasche, Kalk, Feldspat. „Scherben kommen noch dazu und verschiedenste Zusätze für spezielle Gläser. Der Schmelzer beginnt nachmittags mit der Arbeit. Es dauert die ganze Nacht, bis das Gemenge bei 1500 bis 1600 Grad geschmolzen ist und dann langsam auf 1250 Grad Arbeitstemperatur herunterkühlt. Es ist dann immer noch heißer als im Inneren eines Vulkans!“
Die drei Glasmacher lassen sich nicht anmerken, welch enorme Hitze der Ofen in ihrer unmittelbaren Nähe abstrahlt. 60, gar 70 Grad können es im Sommer werden. Der Kölbelmacher holt einen Batzen glühender Masse mit einer Glasmacherpfeife aus dem Hafenofen und übergibt sie dem Einbläser, der sie sachte zu einer Kugel aufbläht. Diese versenkt er in einer Holzform, die ständig mit Wasser besprenkelt wird. Der Dampf, der durch die Hitze entsteht, bildet ein dünnes Polster zwischen Holz und Glas. Während der Einbläser das Werkstück in der Form dreht, wird die Oberfläche makellos glatt. „Die Masse ist zähflüssig wie Honig“, weiß Günter Reif, „so ein Klumpen ist schwer zu bändigen.“
Stilsicherheit und Fingerspitzengefühl
Der Einbläser hat mit einem Pedal die Holzform geöffnet und übergibt die zum Kelch geformte Blase wieder dem Kölbelmacher, der sie zum Stilmacher bringt. „Ein Meister!“, bewundert Günter Reif den jungen, tätowierten Mann, der hoch konzentriert den Stil aus dem Boden des weichen Glases zieht. „Es braucht viele Jahre, um ein Fingerspitzengefühl dafür zu entwickeln.“
Für den Boden bringt der Kölbelmacher einen kleinen glühenden Batzen herbei und setzt ihn am Stilende an. Dann dreht der Meister den Boden mit einer Form, er wird hauchdünn wie das ganze Glas. Die fertigen Gläser werden in einem speziellen Ofen sehr langsam gekühlt, sonst würden sie aufgrund der im Glas vorhandenen Spannung leicht zerspringen.
Der Kontrast zwischen der hoch konzentrierten Stille, in der die drei Glasmacher ihre Choreografie aufführen, und den Geräuschen in der Maschinenhalle könnte kaum größer sein. Christian Stangl, 38 Jahre alt und Fertigungsleiter in der industriellen Produktion, ist stolz auf seine Höllenmaschinen, ölige, schwärzliche Monster, die den Soundtrack für Teufels Technoparty komponieren.
Er lächelt zufrieden. „Wir befinden uns am ,heißen Ende‘ der Produktion. Nichts anfassen!“, schreit er gegen den Lärm an. „Selbst wenn das Glas schon fertig aussieht und auf den Fließbändern zur nächsten Maschine reist, also nicht mehr glüht, ist es noch brutal heiß.“
Heißer Riese im Energiesparmodus
Glühendes Glas quillt aus den Düsen einer Ringlaufmaschine und wird in Formen gepresst. Auf einem weiteren Automaten drehen Weingläser eine feurig glimmende Runde, Greifer ziehen den Stil, der Fuß wird gedreht. Im Lärm der heißen Riesen erklärt Stangl stolz, dass die Produktion mit Oxyfuel-Technologie erfolgt, die 30 Prozent weniger Energie verbraucht als herkömmliche Verfahren und deutlich weniger Kohlendioxid und Stickstoff ausstößt. Keine Kleinigkeit, wenn man über hundert Tonnen Glas am Tag zu schmelzen hat.
„Auf dem Kühlband wird das Glas entspannt, damit es nicht bricht. Das dauert am längsten. Dann wird es langsam angenehmer, das ,kalte Ende‘ mit Kontrolle und Verpackung beginnt. Anderthalb Stunden, nachdem der rotglühende Tropfen gefallen ist, kann das Weinglas, Bierglas, was auch immer, in 160 Länder der Welt verschickt werden“, sagt der Produktionsleiter.
Glasmacher gesucht! Starthilfe garantiert!
Für den Beruf des Glasmachers entscheiden sich nur noch wenige Auszubildende. Wer sich für diese Fachrichtung auf der Glasfachschule in Zwiesel entscheidet, neigt zu künstlerischem Gestalten, will anspruchsvolles Serviceglas oder Objekte für die Innenausstattung herstellen. Um den Absolventen nach der dreijährigen Ausbildung den Start in die Selbstständigkeit zu erleichtern, hat die Gesellschaft von Freunden der Glasfachschule e. V. 2023 die Gründerwerkstatt Glas Zwiesel ins Leben gerufen.
In einer ehemaligen Glasbläserei herrschen ideale Bedingungen: Zehn Werkstattplätze wurden in fünf Bereichen wie Glasmalerei, Glasgravur, Glasblasen, Produktdesign und Kaltglasbearbeitung eingerichtet. Die Miete für die Handwerker ist gering, denn das Wirtschaftsministerium und Spender unterstützen das Projekt. Besonders schön: ein helles Ladengeschäft, um die Erzeugnisse auszustellen.
Traditionspflege … und Spezialaufträge
Herbert Unnasch gab sein viel zu beschauliches Rentnerdasein gerne dafür auf, um als Geschäftsführer die Werkstatt zu betreuen. „Wir wollen die Glasmachertradition im Bayerischen Wald erhalten“, sagt er und führt durch die Studios. „Wir haben hoch motivierte Absolventen. Denen stehen Auftraggeber gegenüber, die keine Handwerker für ihre besonderen Wünsche mehr finden.“
Unnasch zeigt eine Haustüre mit zerbrochenem Glaseinsatz auf einer Werkbank: „Hier möchte der Eigentümer gerne eine spezielle Form und Farbe wieder eingesetzt haben. Er hat den ganzen Bayerischen Wald nach einem Handwerker durchstöbert. Niemand konnte oder wollte das übernehmen. Hier haben wir einen Absolventen der Glasfachschule, der sich die Sache zutraut. Wenn es Probleme gibt, helfen zwei Mentoren.“
Wünsch dir was in Glas!
Evelina Ochs, 28, Produktdesignerin, arbeitet bei Zwiesel Glas als Zeichnerin für Siebdruck. „Ich zeichne gerne“, sagt sie und zeigt eine Glasplatte, auf die sie eine Szene aus einem Kreuzweg graviert hat. Ein Sammler hatte die Vorlagen geschickt und sich die Umsetzung auf Glas gewünscht.
Konrad Bürklein, 45, hat als Autodidakt zur Glaskunst gefunden. Er sitzt an einem Brenner und bläst Buntglas zu hohlen Perlen auf. Seinen Schmuck möchte der gelernte Koch auf Märkten und Festivals verkaufen. Hier kann er üben. Und dann? Wie geht das mit den Einnahmen, der Werbung, den Versicherungen, der Rente? Zu diesen Themen bietet die Gründerwerkstatt Coachings an.
Ein Glashaus voller Inspirationen
Inspiration für ihre Werke finden die jungen Kreativen auf den 1.500 Quadratmetern des Glasmuseums im nur wenige Kilometer entfernten Frauenau.
Von schlichten, aber umwerfend schönen Trinkgläsern, Vasen und Tellern, die das Glasmacherhandwerk im Römischen Reich hervorgebracht hat, über die Bleiverglasungen der Kirchenfenster, Kunst aus Murano, barocke Prachtentfaltung, französischen Jugendstil bis zu den Prunkgefäßen des Bürgertums werden ausgewählte Stücke in einem Rundgang präsentiert. Wie fantasievoll sich Künstler in modernen Zeiten mit dem vielseitigen Material auseinandergesetzt haben, zeigt die große Glaskunstabteilung.
Kleine Flaschen, große Kunst
Große Handwerkskunst entsteht manchmal nebenbei. Zum Beispiel die „Bixl“, die für den Bayerischen Wald typischen Schnupftabakgläser, welche die Glasmacher in den Arbeitspausen und in ihrer Freizeit machen durften. Hier zeigten sie alles, was sie konnten, alle Techniken, alle Farben und Schliffe. Gleich blieb nur die Form als kleine Flasche. In einer großen Ausstellung kann man sehen, mit welcher Passion die Glasmacher bei der Sache waren.
Leicht hatten sie es nicht, das zeigt der Einblick in die Lebenswelt der Glasmacher im Bayerischen Wald im Raum des Gedächtnisses. Hafenofen, Glasmacherpfeifen, Werkzeuge aus ehemaligen Glashütten wurden zusammengetragen, historische Aufnahmen und Dokumente erzählen von den Gewerken rund ums Glas.
Klangvoll und einmalig im Ton
Die Hitze spüren, die vom Hafenofen ausgeht, Männern zusehen, wie sie mit Präzision glühende Klumpen bändigen, bis am Ende jedes Zyklus ein hauchdünnes Weinglas entstanden ist – dieses Erlebnis bietet die Führung bei Zwiesel Glas. Am Ende gibt es noch etwas Erstaunliches zu hören: Der Leiter der Handfertigung, Günter Reif, schlägt zwei fertige Weingläser aneinander. Sie geben einen singenden Ton von sich. Er sagt: „Ein Glasmacher erkennt sein Glas am Klang.“