Felix Schneider vom „Etz“ in Nürnberg hält zwei Michelin-Sterne. Er setzt auf regionale, nachhaltige und achtsame Kulinarik. Dabei ist (fast) alles aus eigener Produktion. Vom Schinken über Butter bis zu Sojasoße und Miso. Zu Besuch bei einem, der nichts verschwendet
Sternekoch Felix Schneider im „Etz“ in Nürnberg
„Im Nürnberger Knoblauchsland wächst und gedeiht alles, was wir brauchen“, brummt Felix Schneider, kurze Cargohose, Hoody und Gärtnerhände. Abgehoben ist der Spitzenkoch überhaupt nicht. Er schaufelt mit Würmern versetzte Erde auf den Komposthaufen in seinem 3.000-Quadratmeter-Gemüsegarten bei Nürnberg.
Felix schwankt zwischen Wut und Verzweiflung. Schnecken sind über Tomaten und Melonen hergefallen, Braunfäule hat während des tagelangen Regens fast alle Zucchini vernichtet. Er wischt sich den Schweiß vom Stoppelkopf, blinzelt in die Sonne und lächelt wieder.
„Ich will alles verstehen, was mit meinen Rohstoffen zu tun hat. Dafür muss ich selbst gärtnern. Was braucht eine Rübe oder eine Erbse, damit sie entwickeln kann, was an Geschmack in ihr steckt? Wie knackig kann Romanasalat sein? Welche Power steckt in wildem Dill?“ Solche Fragen treiben ihn um.
Sonne, Regen und Wind in Gläsern und Fässern
Er braucht das Gemüse für das „Etz“, das er im September 2021 in Nürnberg gemeinsam mit den Köchen Stefan Frank und Thomas Prosiegel eröffnet hat. „Etz“ heißt „Jetzt“ auf Fränkisch. Das passt perfekt: In seinem Laden ist nichts von gestern oder übermorgen.
Selbst Köchinnen aus alten Zeiten würden staunen, was Felix Schneider und seinem Team gelingt
Gemüse, Kräuter, Milch, Fisch und Fleisch müssen keine beschwerlichen Reisen auf sich nehmen, bei denen sie Geschmack und Nährstoffe einbüßen. „Etz“ bedeutet auch, die Region und ihre Jahreszeiten anzunehmen, wie sie sind.
So ein radikales Konzept fordert viel Arbeit und Wissen. Damit es auch im Winter gute Sachen zu essen gibt, muss im Frühling, Sommer und Herbst fermentiert, getrocknet, eingekocht und gepökelt werden.
Selbst Köchinnen aus Zeiten, in denen das Haltbarmachen noch allgemein üblich war, würden staunen, wie es Felix Schneider und seinem Team gelingt, das Gefühl von Sonne, Regen und Wind in Gläser und Fässer einzufangen. Der „Guide Michelin“ würdigt das mit zwei Sternen, vier schwarzen Hauben und dem grünen Stern für konsequent gelebte Nachhaltigkeit.
Die Genuss-Reise
Seine Gäste lädt er auf eine bis zu fünf Stunden dauernde Entdeckungstour ein. Alles für den Trip ist vorbereitet: Die Leinentischdecken sind gebügelt, die Tischlämpchen im dunkelgrau und blau gehaltenen Restaurant zum Glimmen gebracht und der Ablauf am golden schimmernden Pass in der Mitte des Raums ist besprochen.
Das Team aus drei Köchen, Sommelier, Restaurantleiter und vier Azubis ist für den Abend bereit. Gleich wird es auf jeden einzelnen von ihnen ankommen, damit die Vorstellung gelingt. Draußen knallen die letzten Strahlen Sommersonne auf den Asphalt. Drinnen steigt die Spannung.
Augen schließen und genießen
Der erste Teller ist eine Übung für alle Sinne. Da liegen hübsch arrangiert eine Wurzel von der wilden Karotte, ein Blatt Kapuzinerkresse, etwas, das aussieht wie ein Grashalm, aber vor Aroma strotzt, eine Blüte, zwei Blaubeeren, irgendein Kraut … Stück für Stück langsam wirken lassen. Zwischendurch zum Neutralisieren immer einen Löffel Sauerampfer-Granite im Mund zergehen lassen. Augen schließen …
Das Entree soll die Gäste darauf vorbereiten, die kommenden fünfzehn Gänge genau zu erforschen. Damit nach den rohen Kräutern zu Beginn niemand fürchten muss, hungrig nach Hause zu gehen, wird als Nächstes ein Küchle aus Sauerteig mit Mangold auf dem grünen Marmor der meterlangen Theke angerichtet. Darauf folgt junges Gemüse, aber natürlich nicht irgendeines: Felix Schneider hat es am Tag zuvor bei seinem Freund Peter Kunze geholt.
Nur was richtig geil ist, darf ins „Etz“
Kunzes spezielle Gärtnerei steht in Roth. Der Biologe beliefert die besten Köche in Süddeutschland: „Ich ziehe meine Pflanzen aus Samen selbst an, und zwar ausschließlich saumäßig gute Sorten. Dann kümmere ich mich um sie. Es soll ihnen gut gehen. Sie brauchen Stickstoff, guten Boden, aber keinen Kunstdünger. Eine Riesenarbeit, aber es lohnt sich. Ganz wichtig: Erst ernten, wenn die Früchte voll reif sind!“
Peter Kunze serviert ein paar Scheiben einer Dixie Golden Giant, abgeschmeckt mit nussig feinem Sonnenblumenöl. Die Tomate ist köstlich, fruchtig und süß.
„Wie soll ich exzellent kochen, wenn ich das Gleiche kaufe wie alle anderen!“
„Wie soll ich exzellent kochen, wenn ich das Gleiche kaufe wie alle anderen! Wenn das Zeug nicht richtig geil ist, brauche ich es nicht“, bekräftigt Felix, als er die gelbe Wundertomate probiert.
Kunze nickt: „Ich stehe gerne in Küchen herum, schaue zu, was aus meinen Produkten wird. Wenn ich etwas für die Köche tun kann, freue ich mich.“ Felix stimmt zu: „Genau. Wenn ich sage, die Gurke muss so und so schmecken, nicht zu bitter, nicht zu wässrig, züchtet er die alte Sorte, die mir vorschwebt.“
Alles wird verwertet
Niemals würde Felix Schneider etwas Essbares wegwerfen. „Nose to tail“ im Fleischbereich hat sich herumgesprochen, also der Vorsatz, von der Schnauze bis zum Schwanz alles vom Tier zu verwerten. Im „Etz“ gilt das auch für Gemüse und Fisch.
Aus den Innereien eines Störs, der gegrillt auf den Tisch kommt, produziert der Koch Garum, eine Würzsoße. In Salzlake fermentiert und mehrfach gefiltert, verwandeln sich die vermeintlichen Abfälle in eine klare, bernsteinfarbene, würzige Flüssigkeit.
Die im Schälchen servierte rohe Forelle samt Zitronenblatt und Ingwersud erhält ihren besonderen Kick durch dieses Garum. Den Stör hat Fischwirt Sebastian Salomon bei Haslach aus dem Teich gezogen.
Magie der Sporen
Ein Tag in der Woche gehört nur der Produktion der Zutaten und dem Ausprobieren. In der 200 Quadratmeter großen Manufaktur im Hinterhof des Restaurantgebäudes entsteht auch Umami, in der japanische Küche der fünfte Geschmack neben süß, sauer, salzig und bitter. Koji ist dafür verantwortlich, das sind Sporen.
Die komplexen süßen oder salzigen Aromen, über die Restaurantkritiker und Gäste des „Etz“ in Verzückung geraten, haben ihren Ursprung hier. Koji steckt hinter dem natürlichen Umami-Geschmack von Sojasoße und Miso.
Sogar der Wagyu-Schinken ist fermentiert, das macht ihn unglaublich zart. Er bereichert die Brotzeit. Das frisch gebackene Brot dazu duftet und schmeckt wie kein anderes Brot auf der Welt. Das liegt an „Bread Pitt“, Spitzname für den neun Jahre alten Sauerteig, den Stefan Frank jeden Tag mit Mehl und Wasser füttert.
Die Rettichsensation
Vorhang auf für den Sommerrettich. Wie extravagant kann Rettich sein? Nach der opulenten Brotzeit kommt er minimalistisch daher. Fünf verschiedene mit Rettich gefüllte Röllchen lagern in Buttermilch und Lorbeeröl. Optisch erinnert das an einen Zen-Garten, auch geschmacklich ist eine Meditation angesagt. Diesmal über Frische, Schärfe und Textur. Dann bekommt der Stör seine Show, er wird öffentlich gegrillt.
Den Schlussmonolog halten gefrorene Kirschen mit Mädesüß und eine Zuckerrübe in Eis und Joghurt mit Olivenkraut. Der ganze Sommer steckt in dieser letzten Übung für die 25.000 Geschmacksknospen, die eine menschliche Zunge besitzt. Niemand kann sie bewusst einsetzen, aber vielleicht sind an diesem Abend einige von ihnen gekitzelt worden und aufgegangen.